
Georg Renno
Arzt, Massenmörder aus Bockenheim an der Weinstraße
Tötungsarzt und Gutachter
von Malte Holler
Georg Renno kam am 13. Januar 1907 in Straßburg zur Welt. Sein Vater Siegmund war Raiffeisen-Angestellter, seine Mutter Victoria Hausfrau. Bis zur dritten Klasse besuchte er die Volksschule und die Oberrealschule in Straßburg. Doch 1919, als das Elsass infolge der deutschen Kriegsniederlage an Frankreich gefallen war, musste die deutsche Bevölkerung die Region verlassen. Nach ihrer Vertreibung gingen die Rennos in die Pfalz, woher die Familien der Eltern stammten. Etwa ein Jahr lang lebten sie bei Freunden und Verwandten, bis sie sich 1920 in Ludwigshafen niederließen, wo der Vater bei der Raiffeisen-Genossenschaft arbeitete. Der Sohn Georg besuchte dort die Grundschule und die Oberrealschule, sein Abitur machte er 1926.

Studium und Ausbildung
Anschließend studierte er in Heidelberg und in München Medizin. Als Student wurde Georg Renno 1929 Mitglied im NS-Studentenbund (NSDStB), trat 1930 in die NSDAP und 1931 in die SS ein. Seine große Leidenschaft galt der Musik, und als Querflötenspieler war er in Ludwigshafen nicht nur Angehöriger des SS-Musikzuges, sondern gab auch Konzerte, etwa für die NS-Frauenschaft. Ab 1934 diente er als Staffelarzt für eine SS-Motorstandarte, wurde zunächst zum SS-Unterscharführer und 1935 zum SS-Untersturmführer befördert. Im April 1943 sollte er schließlich in den Rang eines SS-Obersturmführers aufsteigen.
Seine Approbation als Arzt hatte Renno im Februar 1933 erhalten und im April wurde er mit einer Dissertation über »Die Gefahren der Tonsillektomie « promoviert. Nach einer ersten Anstellung an einer Heilstätte für tuberkulosekranke Kinder in Scheidegg im Allgäu wechselte er im November 1933 als Assistenzarzt an die Heil- und Pflegeanstalt Leipzig-Dösen. Dort lernte er seine erste Frau kennen, ebenfalls eine Ärztin, die er 1934 heiratete und mit der er drei Töchter bekam (1937, 1939 und 1940).
Aktion T4
Mit Prof. Hermann Paul Nitsche – einem entschiedenen Befürworter der ›Rassenhygiene‹ und ›Euthanasie‹ – bekam die Anstalt Leipzig-Dösen Anfang 1940 einen neuen Direktor. Zur gleichen Zeit begann Nitsche auch, als medizinischer Gutachter für die Berliner ›Euthanasie‹-Zentrale der ›Aktion T4‹ tätig zu werden, in deren Auftrag er in Leipzig-Dösen medikamentöse Tötungsverfahren mit dem Barbiturat Luminal erprobte. Renno assistierte ihm bei den Experimenten, die etwa 60 Menschen das Leben kosteten. Als Nitsche dann im Mai 1940 stellvertretender Leiter der medizinischen Abteilung der ›T4‹-Zentrale wurde (im Herbst 1941 sollte er die Leitung übernehmen), begann auch sein Assistent Renno für die ›Euthanasie‹-Aktion zu arbeiten.
Am 6. Mai 1940 wurde der 33-jährige Georg Renno zunächst in die Anstalt Niedernhart bei Linz versetzt, die bald als ›Zwischenanstalt‹ für das nahe gelegene Tötungszentrum Hartheim diente. Zugleich wurde er Stellvertreter des ärztlichen Leiters beider Anstalten, seines gleichaltrigen Chefs Dr. Rudolf Lonauer.
Im Juni trat Renno seine Stelle im Schloss Hartheim an, dessen Umbau zu einer Tötungsanstalt gerade abgeschlossen war.
Die Ärzte Lonauer und Renno hatten in Hartheim die ›Abfertigung‹ der eintreffenden Transporte sowie den gesamten Tötungsvorgang zu leiten und zu beaufsichtigen. Dazu gehörte zunächst eine letzte oberflächliche Untersuchung der ankommenden und zur Tötung bestimmten Personen, um abschließend über die ›medizinische Korrektheit‹ der Auswahl und damit über das Schicksal dieser Menschen zu entscheiden. Den Ärzten oblag außerdem die Aufsicht über den ›ordnungsgemäßen‹ Ablauf der anschließenden Ermordung in der Gaskammer. Hierbei wachten sie nicht nur darüber, dass die Opfer auch tatsächlich tot waren. Sie regelten zuweilen auch eigenhändig die Gaszufuhr.
In einer späteren Vernehmung von 1965 gab Georg Renno einmal zu verstehen, dass er die technische Betätigung der Mordvorrichtung anfangs als unter seiner Würde betrachtet habe (»Ich habe nicht Medizin studiert, um einen Gashahn zu bedienen«). Dem lagen jedoch keine moralischen Skrupel zugrunde, sondern vielmehr seine Auffassung davon, welche Tätigkeiten dem Stand eines Arztes angemessen seien. Denn wie andere ›T4‹-Täter war auch Renno von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt. Als aber bei einer Vergasung im Juli 1940 einmal kein kontrollierender Arzt anwesend war, kam es zu einem Zwischenfall: Weil nicht ausreichend Kohlenmonoxid in die Kammer eingelassen wurde, waren manche der Opfer zunächst noch am Leben geblieben. Um den reibungslosen Ablauf des Mordprozesses künftig zu gewährleisten, nahm es Renno daraufhin vorübergehend selbst in die Hand, das Gas einzuleiten, und kümmerte sich fortan um eine strenge Überwachung der Prozedur.
Eine weitere Aufgabe der ›T4‹-Ärzte bestand schließlich darin, eine möglichst plausibel wirkende Todesursache festzulegen, die in offiziellen Dokumenten angegeben werden konnte, um die Ermordung zu verschleiern. Die Hartheimer Ärzte Renno und Lonauer attestierten bevorzugt Tuberkulose, obwohl manche ihrer ›T4‹-Kollegen diese Todesursache wegen des verhältnismäßig langen Verlaufs der Krankheit und ihrer allzu auffälligen Symptome als wenig geeignet kritisierten. Sterbeurkunden und andere Dokumente unterschrieb Renno oft mit seinem Decknamen »Dr. Steinert«.
Ab August 1940 betätigte sich Renno verstärkt auch als Gutachter für ›T4‹. Innerhalb eines Jahres besuchte er mehr als 50 öffentliche und kirchliche Pflegeeinrichtungen in der ›Ostmark‹ (dem ehemaligen Österreich) und wählte dort Todeskandidaten für Hartheim aus. Nach dem üblichen Vorgehen der ›Euthanasie‹-Ärzte füllte er spezielle Meldebögen aus, die er bei den zum Tod bestimmten Opfern jeweils mit einem roten »+« kennzeichnete, während ein blaues »–« bedeutete, dass er die Betroffenen mit dem Leben davonkommen ließ.
Im Frühjahr 1941 wirkte Renno als Laiendarsteller in dem NS-Propagandafilm »Dasein ohne Leben« mit. Im Schloss Hartheim spielte der Musikliebhaber oft nach Feierabend in seinem Zimmer oder im Hof auf seiner Flöte. Wenn es in Hartheim zu Besichtigungen durch hohe Funktionäre aus Staat und Partei kam, die das Tötungszentrum immer wieder besuchten, dann war Renno an der Führung meist beteiligt. Auch sonst pflegte er gern Kontakte zu lokalen Würdenträgern und zu Angehörigen des SS-Personals aus dem nahen Konzentrationslager Mauthausen. Mit ihnen und mit dem Personal von Hartheim verbrachte er manchen »bunten Abend«. Mit Sicherheit war er an Selektionen kranker und arbeitsunfähiger KZ-Häftlinge beteiligt, die dann in Hartheim vergast wurden, auch wenn er dies später immer bestritt.

Nach dem offiziellem Stopp der Vergasungen in den Tötungsanstalten der ›T4‹ im Herbst 1941 wurde ein Teil des Hartheimer Personals abgezogen, einige davon in die Vernichtungslager der ›Aktion Reinhard‹ versetzt. Georg Renno hingegen wurde im Oktober 1941 zum Leiter der ›Kinderfachabteilung‹ Waldniel ernannt, einer Zweigstelle der Heil- und Pflegeanstalt Süchteln. Waldniel war eine von über 30 Anstalten, in denen gezielt ›Kinder-Euthanasie‹ betrieben wurde.
Im Frühjahr 1942 erkrankte Renno an Lungentuberkulose, also ausgerechnet an jener Krankheit, die er gern als fingierte Todesursache der ›Euthanasie‹-Opfer angab, um deren Ermordung zu vertuschen. Nach mehrmonatiger Behandlung und nach Kuraufenthalten im Schwarzwald und in Davos kehrte er dann im Frühsommer 1943 nach Hartheim zurück, wo die Ermordung von KZ-Häftlingen jetzt auf Hochtouren lief.
Ab September 1943 vertrat er Lonauer als Leiter der Anstalt, weil dieser zur Wehrmacht eingezogen wurde. Die letzten Monate und das Ende des Krieges verlebte Renno – unterbrochen von erneuter Tuberkuloseerkrankung und einer weiteren Kur in Davos – gemeinsam mit seiner Familie am Attersee, wo die ›T4‹ ein Erholungsheim betrieb.
Leben nach 1945
Juristische (Nicht-)Verfolgung
Nach Kriegsende ließ sich Renno unter dem Namen »Dr. Georg Reinig« in Bockenheim bei Ludwigshafen nieder, wo er bis an sein Lebensende wohnen blieb. Nach vorübergehenden Tätigkeiten als Arzt wurde er dann wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Pharmakonzern Schering AG, bei dem er bis 1958 zum Leiter von Außendienstbereichen aufstieg. Schon seit Anfang 1955 lebte er wieder unter seiner wahren Identität. Nach seiner Scheidung heiratete er 1958 seine zweite Ehefrau.
In Österreich schon seit längerem per Haftbefehl gesucht, begannen im Jahr 1961 auch deutsche Behörden gegen Renno zu ermitteln. Im Oktober 1961 wurde er verhaftet, jedoch aus gesundheitlichen Gründen bereits im Januar 1962 wieder aus der Untersuchungshaft entlassen.
Nach umfangreichen Ermittlungen kam es im November 1967 schließlich zur Erhebung einer Anklage durch die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main. Renno leugnete stets jede Beteiligung an den ihm zur Last gelegten Taten, solange ihm nicht das Gegenteil bewiesen werden konnte. Er habe im Schloss Hartheim lediglich gewohnt und Flöte gespielt. Als die Leugnung und die Verzögerung der Verhandlungen nicht mehr ausreichten, machte der Mediziner gesundheitliche Probleme geltend, um seine Verhandlungsunfähigkeit zu erreichen (Spätfolgen der Tuberkulose, Blinddarm, Schlaganfälle). Nach zahlreichen Unterbrechungen und ärztlichen Begutachtungen wurde das Verfahren im März 1970 vorläufig und im Dezember 1975 dann endgültig eingestellt.
Bis zu seinem Tod am 4. Oktober 1997 führte Dr. Georg Renno ein beschauliches Leben als Pensionär. Noch auf dem Totenbett gab er gegenüber dem Journalisten Walter Kohl zu Protokoll: »Ich fühle mich nicht schuldig«, denn für seine Mordopfer sei der Tod letztlich »eine Erlösung« gewesen.
Interview
Mireille Horsinga-Renno ist Nichte des „Euthanasie“-Arztes Georg Renno. Sie lebt im Elsass. Erst lange, nachdem sie herausgefunden hatte, dass sie einen Onkel in Deutschland hatte, entdeckte sie seine schreckliche Vergangenheit. Heute geht sie an Schulen, um über die NS-“Euthanasie aufzuklären. Das Interview wurde im Jahr 2011 in Straßburg durchgeführt.
Assoziationen
Assoziative Beziehungen und Verknüpfungen
Alle Opfer der NS-"Euthanasie"-Verbrechen haben ihre Individualität. Manche wurden jedoch aus ähnlichen Motiven verfolgt, einige teilten zum Beispiel Gewaltererfahrungen in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen. Andere wiederum wurden doppelt sigmatisiert: Weil sie als psychisch krank und behindert galten und als homosexuell und jüdisch definiert wurden.
Diesen Verknüpfungen versuchen wir mit "Assoziationen" nachzugehen. Sie ermöglichen es auch, geographische Beziehungen in unserer Datenbank zu recherchieren. Sie können also erforschen, wer am selben Ort oder Region lebte, wer in der selben Anstalt lebte und ermordet wurde.
Assoziative Verbindungen
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Mit ‚Georg Renno‘ verknüpfte Biografien
Täterbiografien
Ausgewählte Literatur zum Thema
Der Arzt von Hartheim
2008, Hamburg
Wie ich die Wahrheit über die Nazi-Vergangenheit meines Onkels herausfand
Autor | Mireille Horsinga-Renno |
Der Gerichtsakt Georg Renno
1999, Wien
als Quelle für das Projekt Hartheim in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jahrbuch 1999, S. 80-92
Autor | Peter Schwarz |
Die Pyramiden von Hartheim.
1997, Grünbach
„Euthanasie“ in Oberösterreich 1940-1945
Autor | Walter Kohl |
Tötungsanstalt Hartheim
2008, Linz
Autor | Brigitte Kepplinger u.a. (Hg.) |
Was sie taten – Was sie wurden
2004, Frankfurt/Main
Ärzte, Juristen und andere Beteiligte am Kranken- oder Judenmord. 12. Auflage, Fischer Verlag.
Autor | Ernst Klee |
Wert des Lebens
2003, Linz
Gedenken-Lernen-Begreifen. Begleitpublikation zur Ausstellung des Landes OÖ "Wert des Lebens" in Schloss Hartheim 2003
Autor | Brigitte Kepplinger (Redaktion) |
ISBN | 3-85487-647-7 |
Zamek Śmierci Hartheim
2004, Warschau
Eutanazja w III Rzeszy
Autor | Tom Matzek |
ISBN | 83-7311-990-66 |
„Das Kind ist nicht abrichtfähig...“
2010, Köln
„Euthanasie" in der Kinderfachabteilung Waldniel 1941-1943
Autor | Andreas Kinast |
„Ich fühle mich nicht schuldig“
2000, Wien
Georg Renno, Euthanasiearzt
Autor | Walter Kohl |
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Neueste und hervorgehobene Biografien von Opfern
Die Sammlung von Opferbiographien begann im Jahr 2010 und wächst seither stetig. Hier sehen Sie Biografien, die kürzlich hinzugefügt wurden und solche, die aus Anlass eines Jahrestages oder Ereignisses hervorgehoben wurden. Angehörige und Erinnerungsinitiativen haben sie uns zur Verfügung gestellt.