
Frieda Rybski
Buchbinderin aus Berlin
Frieda Rybski wurde am 14. Juni 1904 in Bunzlau (heute polnisch Bolesławiec/Riesengebirge) geboren.
"Werde ich denn hier als Kranke angesehen oder als Kriegsgefangene"
Frieda Rybski in der Anstalt Wittenau, 1943.
Sie blieb ledig und hatte keine Kinder. Als sie 39-jährig am 16. Juli 1943 aus dem Krankenhaus Herzberge in Berlin-Lichtenberg in die Wittenauer Heilstätten im Bezirk Reinickendorf ve.rlegt wurde, hatte sie bis zu ihrer Krankenhausaufnahme bei den 72-jährigen Eltern und ihrer älteren Schwester in einer Zwei-Zimmer-Wohnung im Glambeckerweg 27 in Berlin-Hermsdorf gelebt. Der Vater war Schuster, die vier Brüder wurden als „hochgelernt und verheiratet“ beschrieben, die ledige Schwester war Fürsorgerin und Stenotypistin. Frieda Rybski hatte die Volksschule nur bis zur zweiten Klasse absolviert (die erste Klasse war damals die Abgangsklasse), ein Jahr Putzmacherin gelernt und war als Buchbinderin tätig gewesen; zuletzt arbeitete sie in Fabriken. Zu ihrer letzten Arbeitsstelle in einer Borsigwalder Maschinenfabrik war sie dienstverpflichtet worden.
Bis auf die „sehr nervöse“ Mutter wird die Familie als gesundheitlich unauffällig beschrieben. Für Frieda Rybski selbst ergibt sich aus der Krankheitsgeschichte der Klinik Herzberge ein anderes Bild: Ein Ohnmachtsanfall in der Jugend, eine Fehlgeburt mit 24 Jahren sowie in den letzten zwei Jahren weitere Ohnmachtsanfälle zu Hause, auf der Bahn und in der Fabrik. Die Folgen seien „ein Abmagern in Schulter- und Rückenpartie“, Schmerzen im Rücken und unterhalb des Herzens und ein „Gefühl der Schwere im Körper, als sacke alles nach unten weg“ gewesen. In diesem Zustand ließ sich ein schwerer Arbeitsalltag in der Fabrik sicher kaum ertragen. Frau Rybski äußerte laut Befund vom 28. April 1943: „Man solle einen Menschen eben nicht in eine Arbeit zwingen, sondern eine Arbeit geben, die ihm auch Freude macht.“
Die Diagnose in Herzberge lautete: „Klimakterische Psychose“; darüber hinaus wurde vermerkt: „Depressive Grundstimmung. Abweisend. Versuchte wiederholt sich zu entfernen.“ Am 16. Juli 1943 wurde Frieda Rybski aus dem Allgemeinen Krankenhaus Herzberge in die Heil- und Pflegeanstalt Wittenau verlegt.
Die dortigen Aufzeichnungen über sie betonen vor allem eine permanente Arbeitsablehnung und mehrfach geäußerte Fluchtabsichten. Frieda Rybski litt sicher unter dem Anstaltsumfeld im Haus 3, die Protokolle erwähnen Äußerungen wie: „Werde ich denn hier als Kranke angesehen oder als Kriegsgefangene; […] schimpft zeitweise heftig, besonders über das Essen; […] die vielen Frauen machen sie ganz wahnsinnig.“
Zur psychischen Situation werden optische und akustische Halluzinationen genannt und die Psychose fortgeschrieben. Der geringe Bildungsstand in Verbindung mit einem „initiativlosen, […] albernen Eindruck […] ohne eigentliche Einstellung zu dem, was sie umgibt und was mit ihr geschah“, wird in den Vordergrund gerückt. Als Gesamtbild entsteht der Eindruck eines debilen Zustandes.
Mit der am 14. September 1943 in der Akte festgehaltenen Verlegungsabsicht nach Obrawalde ist das weitere Schicksal von Frieda Rybski festgeschrieben. Auch der auf Betreiben der Angehörigen bewilligte einwöchige „Urlaub“ im Dezember 1943 verschlimmerte durch Bombenkriegserlebnisse ihren Zustand nur weiter. Am 8. Dezember desselben Jahres wurde Frieda Rybski nach Obrawalde verlegt; am 23. März 1944 starb sie in der dortigen Anstalt wahrscheinlich an den Folgen einer Überdosierung von Beruhigungsmitteln.
Die Biografie wurde von Joachim Richter-Geißler erarbeitet.
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- Wittenauer Heilstätten (Berlin)
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