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Historischer Ort: Denkmal der Grauen Busse, Porträt 7
Opferbiografie
Wilhelm Heilig
19071940

Wilhelm Heilig
Arbeiter aus Oberteuringen (Baden-Württemberg)

geb. 27.04.1907 in Weingarten (Baden-Württemberg)
gst. 20.05.1940 in Grafeneck (Baden-Württemberg)

Von Paul-Otto Schmidt-Michel

Wilhelm Heilig1 ist am 27.4.1907 in Weingarten geboren, sein letzter Wohnort bei seiner Aufnahme in die Heilanstalt Weißenau am 11.1.1930 war in der Gemeinde Oberteuringen (damals Landkreis Tettnang).

  1. Bundesarchiv, Bestand R 179, Nr. 24502, 21 Seiten, diverse Handschriften, forensisches Gutachten, 33 Seiten in Maschinenschrift.
Biografie erstellt am 07.05.2018, letzte Aktualisierung: 31.05.2018

Der Krankenakte liegt ein umfangreiches forensisches Gutachten bei, welches auf Grund einer Brandstiftung durch Herrn Heilig auf Anordnung des „Württ. Landgerichts Ravensburg“ seitens des Medizinalrats Dr. Gutekunst im Dezember 1929 erstattet wurde. Aus diesem Gutachten wird eingangs der Krankengeschichte zitiert. Danach sei er „wiederholt wegen Bettelns und Brandstiftung“ angeklagt gewesen und wegen „§ 51 außer Verfolgung“. Im letzten Satz des Gutachtens heißt es hierzu, dass Herr Heilig als „gemeingefährlicher Geisteskranker“ anzusehen ist, „der einer dauernder Verwahrung in einer geschlossenen Heilanstalt bedarf“. Er hatte eingestanden, ein „Ökonomiegebäude“ in Grünkraut angesteckt zu haben – er sei zuvor „von dem Besitzer davongejagt“ worden, weil er bei diesem um Nahrung gebettelt hatte. Biographisch wird in der Akte geschrieben, dass Herr Heilig in Weingarten von 1914 bis 1921 die Volksschule besucht hat, er sei ein „mittlerer Schüler“ gewesen, habe jedoch dann mit 13 Jahren eine „Kopfgrippe“ (Hirnhautentzündung) bekommen
und sei fast ein Jahr im Krankenhaus Weingarten gewesen. Ab dann habe er mehr Schwierigkeiten mit dem Lernen gehabt. Der Vater Josef Heilig, Eisengießer in Weingarten, wird hierzu im Gutachten zitiert: „Mit 13 Jahren hatte er Kopfgrippe und seither scheint er mir, als ob er geistig nicht mehr normal wäre“. Auch sein Lehrer aus der Volksschule, ein Herr Maier, wird zitiert: „Ein gutmütiger, leicht lenkbarer Junge“.

Nach der Schule arbeitete er an verschiedensten Stellen, zunächst in der Landwirtschaft, später in der Maschinenfabrik Schatz in Weingarten, dann in der Ziegelei Hackspiel in Mariabronn/ Tettnang etc. Er hielt es nirgendwo lange aus, wohl auch weil Mitarbeiter, wie es im Gutachten heißt, ihn wegen seiner leichten Erregbarkeit und seiner Lernbehinderung gehänselt hatten. Die Arbeitgeber beschrieben ihn als willig und fleißig.

Ab 1926 traten dann immer wieder epileptische Anfälle auf, wegen deren er 1926 und 1927 öfter im Krankenhaus Friedrichshafen behandelt wurde, ebenso kurzzeitig in der Anstalt Liebenau, von wo er weglief, und schließlich 1929 zwei Monate in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses München-Schwabing (16.7. bis 19.9.1929). In den letzten Jahren vor seiner Einweisung scheint er sich als Bettler über Wasser gehalten zu haben; es gibt jedenfalls keine Nennungen mehr über Arbeitsverhältnisse bzw. nur die Angabe, dass er wegen „Bettelei“ angezeigt wurde. Nach seiner Aufnahme auf einer Station in Weißenau wird Wilhelm Heiligs Verhalten so beschrieben:
„Ruhig und geordnet, ist guter Dinge, gesunder Appetit, unterhält sich mit Kartenspiel, macht sich um seine Zukunft keine Sorgen, besucht den Garten“.

Ab März 1930 werden erstmals epileptische Anfälle mit Bewusstlosigkeit beschrieben und dass er bei „Heimarbeiten mithilft“. Die weiteren Verlaufsbeschreibungen bis 1940 sind besonders durch die Zunahme seiner Anfälle gekennzeichnet („monatliche Anfälle zwischen 0 und 37“). Jährlich wird auch beschrieben dass er „viel Romane liest“. Wenn er durch die Anfälle nicht geschwächt ist, hilft er „fleißig bei den Hausarbeiten“ mit und „rückt mit der Kolonne aus“. 1937 wird der Tod des Vaters in der Akte vermerkt. Der letzte Eintrag am 2.3.1940 lautet: „Liest viel, will täglich den Arzt sprechen und bereitet seine Fragen schriftlich vor“. Im Alter von 33 Jahren wird Wilhelm Heilig mit dem ersten von 11 Todestransporten am 20.5.1940 mit 77 weiteren Opfern von Weißenau nach Grafeneck deportiert und getötet.

Assoziationen

Assoziationen
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Alle Opfer der NS-"Euthanasie"-Verbrechen haben ihre Individualität. Manche wurden jedoch aus ähnlichen Motiven verfolgt, einige teilten zum Beispiel Gewaltererfahrungen in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen. Andere wiederum wurden doppelt sigmatisiert: Weil sie als psychisch krank und behindert galten und als homosexuell und jüdisch definiert wurden.
Diesen Verknüpfungen versuchen wir mit "Assoziationen" nachzugehen. Sie ermöglichen es auch, geographische Beziehungen in unserer Datenbank zu recherchieren. Sie können also erforschen, wer am selben Ort oder Region lebte, wer in der selben Anstalt lebte und ermordet wurde.

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