Das bayerische Psychiatriegesetz
Ein Kommentar von Heinrich Bruns
Wir freuen uns, einen Text von Heinrich Bruns zum geplanten bayerischen Psychiatriegesetz veröffentlichen zu dürfen. Er erschien zuerst am 15. April 2018 auf seinem Blog https://hrbruns.com/2018/04/15/danke-staatsregierung/ und wurde vielfach geteilt und kommentiert.
Danke, Staatsregierung!
Die Zeit, in der ich sehr stolz auf mich war, dass ich freiwillig in die Psychiatrie ging, mir mit meinen Depressionen helfen ließ und mir selber half, durch aktive Teilnahme an Therapien, durch Medikamenteneinnahme und durch Verbesserung meiner Lebensumstände, diese Zeit endete heute, um ziemlich genau 11:19 Uhr, als ich bei den Kollegen von nordbayern.de über das neue Psychiatriegesetz las. Vielleicht sollten Sie das auch tun, ob gleich oder im Anschluss.
Die Fakten im Schnellüberblick:
- 36 von 40 Artikeln des Hilfegesetzes regelt die Unterbringung, nur vier (!) Artikel widmen sich der Hilfestellung.
- Erfasst werden soll jede Person, die in einer Krisensituation in einer psychiatrischen Klinik war, und sei es nur für wenige Tage. Für fünf Jahre.
- Größte Sorge der Fachdienste und Verbände ist, dass das aus ihrer Sicht gründlich missratene und für viele Betroffene schädliche Paragrafenwerk noch vor der Landtagswahl durchgepeitscht werden soll.
Nicht nur, dass aufgrund der Gewichtung 36:4 der Eindruck entsteht, dass psychisch kranke Menschen (gemein-)gefährlich sind, nicht nur, dass eine weitere Datensammelwut von Behörden angestachelt wird, nein, den Betroffenen wird nicht geholfen. Wer traut sich denn noch, zum Arzt oder gar in die Klinik zu gehen, wenn er weiß, dass er am Ende in einer Datei steht, auf die die Polizei Zugriff hat. Eine Polizei, die bei einer Streife und Kontrolle mit ungeschultem Blick darüber entscheiden darf, ob jemand in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert werden soll. Und glaubt mir, ich habe das, bevor ich freiwillig rein ging, oft genug erlebt, dass mich die Polizei suchte, via stiller SMS und Ortung über den Standort meines Mobiltelefons lokalisierte, ich zwar nicht eingeliefert wurde, dank meiner überzeugenden Redekünste, aber mich bei der Polizei immer damit auseinandersetzen musste.
Natürlich, kann man sagen, das zeigt doch, dass so ein Gesetz wichtig und richtig ist.
Nein, sage ich. Dieses Gesetz geht am Bedarf völlig vorbei.
Wichtig ist, dass den Betroffenen und Angehörigen geholfen wird. Das kann aber keine Polizei sicherstellen. Die wissen, wie man Handschellen anlegt, schießt und Zwang ausübt. Aber: Die wissen nicht, was ein Mensch in einer solchen Hilfesituation braucht: Einen anderen Menschen, der fachlich (!) und neutral einschätzen kann, Hilfe leistet und dem Patienten das Gefühl gibt, ganz nah bei ihm zu stehen.
Nicht zu unterschätzen ist dabei – ich spreche aus eigenem Erleben – das positive Beispiel, das entlassene Patienten bilden.
Ich höre den einen oder anderen sagen: Aber das passiert doch in der Psychiatrie auch. Nein, genau das passiert in der Psychiatrie nicht – zunächst nicht. Hier wird erst einmal geschaut, jemanden soweit ruhig zu kriegen, dass er vielleicht irgendwann ansprechbar und offen für seine Probleme wird. Dazu gehört aber, und das ist die Erfahrung, die ich mit anderen Erkrankten, deren Lebensgeschichten, in langen Therapiestunden erfahren habe: Dazu gehört das ungeheuer wichtige Gefühl, freiwillig ins Krankenhaus gegangen zu sein.
Eine Zwangsunterbringung (die wohl nach neuem Gesetz droht) bringt rein gar nichts. Und für die Zwangsunterbringung ist zuvörderst die Polizei zuständig, die staatlicherseits meist den „Erstkontakt“ mit psychisch auffälligen Menschen hat, sei es, das dieser ankündigt, sich suizidieren zu wollen, sei es, dass er in einer Streitigkeit, zu der die Polizei gerufen wird, ins Visier gerät.
Eine Zwangsunterbringung also, bringt nichts, außer bei Menschen, die in die Forensik müssen.
Die Rahmenbedingungen für diese Fälle sind vorhanden, können und werden angewendet. Wie der Fall Gustl Mollath zeigt, ist hier aber auch nicht untrüglich festzumachen, ob jemand dieser Behandlung bedarf.
Wer Bayerns Politik seit längeren Jahren beobachtet, weiß nicht erst seit Mollath, wie polizeivernarrt die CSU sein kann. Ich entsinne mich noch gut, wie ein Peter Gauweiler HIV-Zwangstests für Drogenabhängige und angehende Beamte forderte, wie ein Horst Seehofer Aids-Kranke in speziellen Heimen sammeln wollte. Das war 1987, für die weniger Geschichtsbewusstsein. („Auf Gauweilers Betreiben hin, der 1986 vom Münchner Kreisverwaltungsreferenten zum Innenstaatssekretär aufgestiegen war, verabschiedete das bayerische Kabinett einen bundesweit einmaligen Maßnahmenkatalog gegen Aids. Darin enthalten waren Zwangstests von Prostituierten und „Fixern“ auf HIV, zur Not mit Hilfe der Polizei durchzuführen. Auch wer Beamter werden oder als Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis haben wollte, brauchte einen negativen Befund.“ zitiert nach SZ von hier.)
Und wer die Datensammelwut der Staatsregierung kennt (sei es bei der Vorratsdatenspeicherung, sei es beim neuen PAG), der weiß, was da dräut:
Ein geöffnete Büchse der Polizei-Pandora, die neben dem sicher gut bedachten und befundenen Unterbringen von Menschen, die der Hilfe bedürfen, in Konjunktion mit den Datensätzen des neuen Polizeiaufgabengesetzes (Verweis auf netzpolitik.org) das perfekte Mittel eines Demokratur-Staates bildet, Kritiker und Unbequeme auf die Seite zu räumen, mundtot zu machen.
Ein niederschwelliges Anstupsen eines ungefährlichen, aber depressiven Patienten durch jemanden, der mit Hilfe der Psychiatrie den Ausweg ins Leben geschafft hat, wird unterbleiben. Wie schnell kann man in die Depressiven-Datei geraten, wenn in einer an sich unbedeutenden Auseinandersetzung der eine den anderen des Aufenthaltes und der Erkrankung bezichtigt? Unmöglich, sagen Sie?
Nein. Wir haben neben der CSU, die den Boden für so etwas bereitet, schon eine andere Partei, die parlamentarische Anfragen stellt.
Wehret den Anfängen!
Schrieb ich am Anfang, dass ich stolz war, so darf ich mich jetzt korrigieren: Ich bin weiter und noch stärker stolz auf mich, dass ich den Ausweg ins Leben gefunden habe. Grade auch, weil ich diesen Artikel schrieb, der ja auch immer was mit „Hosen-runter-lassen“ zu tun hat.
Danke, Staatsregierung.
Nachtrag: Das BayPsychKHG im Entwurf gibt es hier zu lesen.
Kategorie | Debatte |
Schlagwort | Psychiatrie, Bayern, Polizei, Repression, Betroffenenperspektive |
Aktuelle Beiträge im Blog
Social Media
Wir twittern und posten auf Facebook.
Neueste und hervorgehobene Biografien von Opfern
Die Sammlung von Opferbiographien begann im Jahr 2010 und wächst seither stetig. Hier sehen Sie Biografien, die kürzlich hinzugefügt wurden und solche, die aus Anlass eines Jahrestages oder Ereignisses hervorgehoben wurden. Angehörige und Erinnerungsinitiativen haben sie uns zur Verfügung gestellt.