Hadamar: Hier wurden Patienten ermordet. Hier wohnen Patienten!
UPDATE 31.5.2017
Der (Wieder-)Einzug von Menschen mit Behinderungen in die Räume der ehemaligen Tötungsanstalt ist abgewendet, wie aus einer Pressemitteilung des Landeswohlfahrtsverbandes hervorgeht.


In Hadamar haben die Nationalsozialisten in den Jahren 1941 - 1945 psychisch kranke und geistig behinderte Menschen, ab 1942 auch kranke Zwangsarbeiter und sog. halbjüdische (gesunde) Kinder im Rahmen der NS-Krankenmorde getötet.
Heute ist die Gedenkstätte Hadamar ein wichtiger Ort des Gedenkens an die Opfer der NS-„Euthanasie“, der allein in Hadamar fast 15.000 Menschen zum Opfer fielen. Darüber hinaus leistet die Einrichtung mit fast 20.000 Besuchern pro Jahr (Tendenz steigend) einen wichtigen Beitrag zur Demokratie-Erziehung vor allem junger Menschen.
Die meisten Ortskundigen haben sich längst daran gewöhnt: Betritt man „Haus 5“ der Vitos Klinik in Hadamar durch den Haupteingang, so kommt man zur Rechten in die Gedenkstätte, zur Linken in das Wohn- und Pflegeheim von Vitos.
Dass im Ostflügel des Gebäudes Kranke ermordet wurden, daran erinnern die Gaskammer, Reste der Einäscherungsöfen, ein Seziertisch und nicht zuletzt die Gedenkstätten-Ausstellung in den historischen Räumlichkeiten. Was viele nicht wissen: Im Westflügel des Gebäudes, das heute so unscheinbar „Haus 5“ heißt, wurde in den Jahren 1942 bis 1945, also in den Jahren der Medikamentenmorde, mindestens im gleichen Umfang gemordet wie im Ostflügel, der die Gedenkstätte beherbergt. Dessen ungeachtet wurde und wird der Westflügel seit Ende des 2. Weltkriegs weiter genutzt für die Unterbringung psychisch und seelisch kranker Menschen.
Dieser aus ethischer Sicht sehr fragwürdige Zustand sollte im Juni 2017 endlich ein Ende haben. In der Woche nach Pfingsten werden die Bewohner aus Haus 5 in neu errichtete Gebäude auf dem Vitos-Gelände umziehen.
Es bietet sich also eine großartige Gelegenheit, endlich einen Neuanfang zu wagen, dem Gedenken einen angemessenen Platz einzuräumen und auch diesen historisch bedeutsamen Teil des Gebäudes in die bestehende Gedenkstätte zu integrieren.
Leider planen der Landeswohlfahrtsverband Hessen und die Vitos GmbH aktuell anscheinend, diesen ehemaligen Mordtrakt wiederum für mehrere Jahre als Wohnraum für Menschen mit seelischen Beeinträchtigungen und psychischen Erkrankungen zu nutzen!
Dieses Vorgehen erscheint uns gleich aus mehreren Gründen inakzeptabel, denn es leugnet:
- die historische Bedeutung des Westflügels, in dessen Räumen nachweislich mehr als 1.000 Menschen ermordet wurden und viele Menschen zum Teil wochenlang unter Hunger und Vernachlässigung und in dem Wissen um die drohende Ermordung gelitten haben,
- die Gefühle von Menschen mit seelischen Beeinträchtigungen und psychischen Erkrankungen, die dort untergebracht werden sollen im Wissen um die Historie dieser Räume und
- die Verantwortung des LWV Hessen als Nachfolgeorganisation des Bezirksverbandes Wiesbaden, des ehemaligen Trägers der Landesheilanstalt Hadamar während der Zeit des Nationalsozialismus.
Die Weiterverwendung des Westflügels von Haus 5 auf dem Gelände der Vitos Hadamar wäre gleichbedeutend mit einer Verleugnung der nationalsozialistischen Taten in diesen Räumen. Wir fordern daher die Verantwortlichen auf, auch dieses Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte endlich zu einem guten Ende zu bringen und die Räumlichkeiten der Gedenkstätte zum Zweck des Gedenkens und der Bildungsarbeit zur Verfügung zu stellen. Ein „Weiter so!“ darf es in Hadamar nicht geben!
Kategorie | Gedenkstätten |
Schlagwort | Hadamar, Gedenkstätte, Menschen mit Behinderung |
Verknüpfungen | T4-Tötungsanstalt Hadamar (Gedenkstätte Hadamar, Hadamar) |
Aktuelle Beiträge im Blog
- Gedenken19.01.2023
Gedenken am 27. Januar 2023
Der 27. Januar ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Im Jahr 2023 steht er im Zeichen der Erinnerung an die Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität im Nationalsozialismus verfolgt wurden. Ebenso wird an diesem Tag der Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Opfer gedacht. Zur besseren Orientierung haben wir eine Karte erstellt, die alle bekannten Veranstaltungen zu diesem Thema zusammenfasst. Sie kann unter diesem Link angesehen werden.AutorSchlagwortVerknüpfungenDenkmal und Gedenkstätte für die ‚Wasserburger Opfer‘ des Nationalsozialismus am Heisererplatz (Wasserburg am Inn), Heil- und Pflegeanstalt Teupitz (Asklepios Fachklinikum Teupitz, Teupitz), Heilanstalt Weinsberg (Klinik am Weissenhof Zentrum für Psychiatrie Weinsberg, Weinsberg), Lern-und Gedenkort "Medizinverbrechen im Nationalsozialismus" (Medizinhistorisches Museum Hamburg, Hamburg), T4-Tötungsanstalt Brandenburg/Havel (Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde in Brandenburg/Havel, Brandenburg/Havel), T4-Tötungsanstalt Hadamar (Gedenkstätte Hadamar, Hadamar), T4-Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein (Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, Pirna), Tiergartenstraße 4 (Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde, Berlin)
Social Media
Wir twittern und posten auf Facebook.
Neueste und hervorgehobene Biografien von Opfern
Die Sammlung von Opferbiographien begann im Jahr 2010 und wächst seither stetig. Hier sehen Sie Biografien, die kürzlich hinzugefügt wurden und solche, die aus Anlass eines Jahrestages oder Ereignisses hervorgehoben wurden. Angehörige und Erinnerungsinitiativen haben sie uns zur Verfügung gestellt.