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Historischer Ort: Denkmal der Grauen Busse, Porträt 7
Victims biography
Hermann Jelken
19071944

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Hermann Jelken
Arbeiter, Eilbote from Bremen

b. 04/14/1907 in Loga (Leer) (Niedersachsen)
d. 02/26/1944 in Meseritz (Międzyrzecz) (Województwo Lubuskie)

Hermann Jelken wurde am 14. 4. 1907 als sechstes von sieben Geschwistern in Loga bei Leer geboren.

Biography created on 01/19/2018, last update on 05/18/2022
Selbstzeugnis

„Sehr geehrter Herr Obermedizinalrat!


Ich der Unterzeichnete möchte Sie nochmals bitten, mir doch die Unterlagen zu schicken, die ich zu einem geordneten Leben gebrauche. Sie wissen doch noch besser wie ich, wie schwer es heute ist, ohne die nötigen Papiere zu leben. Sie haben doch in den elf Monaten, die ich in Ihrer Anstalt zugebracht habe, feststellen müssen, dass mein Gesundheitszustand ganz normal war, und können mir es doch nicht verdenken, dass es mir nach der Heimat und in die Freiheit zog. Sehr geehrter Herr Obermedizinalrat! Sie machen nicht nur mir das Leben schwer, sondern auch meine Mutter, die sehr darunter leidet. Letzten Endes bin ich doch brauchbar und brauchbar gewesen, sodass Sie doch nicht unbedingt auf eine längere Unterbringung bestehen müssen.“

Quelle: Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, Außenstelle Hadamar, Krankenakte Hermann Jelken

Opferbiografie: Hermann Jelken, Brief Hadamar
Hermann Jelken schrieb am 19. August 1943 an die Leitung der Tötungsanstalt Hadamar, aus der er geflohen war. Archive des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, Außenstelle Hadamar, Krankenakte Hermann Jelken.

Ein Gedicht, das der 25jährige im Mai 1932 schrieb und das als Abschrift in seiner Krankenakte überliefert ist, ermöglicht einen Blick in die Gefühls- und Gedankenwelt eines arbeitslosen Arbeiters während der Weltwirtschaftskrise: 

„Bin jetzt drei Jahre arbeitslos weiß weder aus noch ein,
denk immer an das große Los s’kommt doch nimmer rein.
Ich schreibe schreibe Tag für Tag und warte ab was kommen mag
Wir Proleten warten alle bis sie kommen die Krawalle
Dann werden wir den Bonzen zeigen, was gespielt wird in den Reihen
Drei Jahre ist ne lange Zeit, doch einmal werden wir befreit
von den Unterdrückern der Welt, dann machen wir’s wies uns gefällt

Prolet erwach, Prolet gib acht, bald kommt der Tag und auch der Krach

Drum auf Proleten, reiht euch ein in die Klassen der roten Reihen
Einmal führen für [wir?] zum Siege, und dann gibt es auch Betriebe
wo wir schaffen und verdienen unser Recht und noch mehr kriegen
unser Brot und auch die Freiheit jetzt heißt es auf, jetzt ist noch Zeit.

Wie lange sollen wir noch leiden - wir Arbeitslosen jung und alt?
Wie lange noch - soll es so bleiben ohne Lohn und ohne Gehalt?
Alle Werktätigen, heraus zum Kampf, gegen Lohnraub Hunger und Not.
Denn dieses System das ist doch Krampf, drum seid gescheit und wählet Rot.
Hermann Jelken“
 

Nur wenige Wochen nachdem der 25jährige dieses Gedicht verfasst hatte, brachte ihn ein Bruder zum ersten Mal in die Bremer Nervenklinik. Dieser berichtete, dass Jelken „nachts seinen Neffen aus dem Fenster werfen und selber nachspringen“ wollte und zudem behauptet habe, „sein verstorbener Vater spiele im Radio Geige“. 

Wenige Tage darauf wurde der Patient als „gebessert“ aus der Klinik entlassen, aber im darauffolgenden Jahr aus ähnlichen Gründen erneut aufgenommen. Nach Angaben der Angehörigen sei der junge Mann nach seiner Entlassung „aus der Anstalt immer sehr still und grüblerisch“ gewesen und habe „überhaupt einen sonderbaren und etwas unheimlichen Eindruck“ gemacht. Auf Grund der ärztlichen Diagnose „Schizophrenie“ wurde Jelken nun beim Erbgesundheitsgericht angezeigt, seine zwangsweise Unfruchtbarmachung beschlossen und im April 1934 im Großen Krankenhaus in der St. Jürgen Straße vollzogen 
 

Auch in den folgenden Jahren überwies man Jelken wegen plötzlich auftretender Erregungszustände in die Bremer Nervenklinik, wo ihn die Ärzte mit Cardiazolschocks behandelten und er als Hausarbeiter oder in der Feldkolonne tätig war. Im Sommer 1942 wurde der inzwischen 35 jährige zusammen mit 125 anderen Patienten aus der Bremer Nervenklinik in die Landesheilanstalt Hadamar gebracht. 
Die Hadamarer Anstalt zählte in der ersten Phase der NS „Euthanasie“-Verbrechen zu den sechs Mordanstalten der sogenannten Aktion-T4. Mehr als 10.000 Menschen wurden in der Gaskammer der hessischen Anstalt zwischen Januar und August 1941 ermordet. Die zweite Mordphase begann in Hadamar mit der Ankunft der Bremer Patienten am 13. und 14. August 1942. In den Jahren bis Ende des Zweiten Weltkriegs starben in der Mordanstalt fast 4.500 weitere Menschen. „Wer nicht schnell genug der gezielt eingesetzten Hungerkost oder der vorenthaltenen medizinischen Versorgung erlag, wurde durch überdosierte Medikamente getötet.“ 

Überlebenschancen hatten allein die Arbeitsfähigen. Zu diesen zählte auch Hermann Jelken, der fast ein Jahr in der Anstaltsküche arbeitete. „Leistet hier gute Arbeit. Ein neuer Entweichungsversuch ist nicht vorgekommen. Wird frei behandelt,“ schrieb der Hadamarer Anstaltsleiter im Sommer 1943 in seine Krankenakte.

Offensichtlich hatte Jelken einen erfolglosen Fluchtversuch unternommen, den er kurz darauf, diesmal erfolgreich, wiederholte. Fast bedauernd notierte der Arzt, dass der „ordentliche und anstellige“ Mann am 18.7.1943 entwichen sei.
In einer 1986 erschienenen Publikation ist die Geschichte des ehemaligen Bremer Patienten als Beispiel für eine geglückte Flucht dokumentiert. Damit zählte Jelken zu den insgesamt 29 Frauen und Männern, die zwischen August 1942 und März 1945 versuchten, aus der Mordanstalt zu fliehen. (Daum 1986, S. 206)
In Hadamar war man über die Flucht des Mannes derart beunruhigt, dass sofort ein Pfleger nach Bremen geschickt wurde, um den „gemeingefährlichen“ Patienten zurückzuholen. Doch dieser musste unverrichteter Dinge die Rückreise antreten, da der Entflohene „noch nicht ergriffen“ worden war.
 

Hermann Jelken gelang es, nach Bremen zurückzukehren. Hier lebte er bei seiner Mutter, arbeitete nachts als Luftschutzwache und tags als „Blitz-Eilbote“. Parallel dazu wandte er sich mit mehreren Schreiben an den ärztlichen Leiter der Anstalt Hadamar, damit dieser ihm seine Ausweispapiere, die er dringend „zu einem geordneten Leben“ benötige, zusende. Natürlich hatten seine Bitten keinen Erfolg. Als er sich bei einer Routineüberprüfung nicht ausweisen konnte, brachte ihn die Bremer Polizei umgehend zurück in die Bremer Nervenklinik. Hier berichtete Jelken bei der Aufnahme, dass er „aus Hadamar entwichen sei, weil er nicht sterben und nicht umgebracht werden wollte.“ Er habe dabei einen „ruhigen, glaubhaften Eindruck“ gemacht und „bitterlich“ geweint, erinnerte sich Jahre später der zuständige Pfleger.
Auch ein ehemaliger Oberarzt der Bremer Nervenklinik konnte sich sehr genau an das Ereignis erinnern, als er Ende der 1940er Jahre im Entnazifizierungsprozess nach seinem Wissen über das „Euthanasie“-Programm befragt wurde. Jelken habe zwar über die mörderischen Verhältnisse in Hadamar berichtet, allerdings habe es sich bei ihm „um einen schwer Geisteskranken“ gehandelt, so dass er „dieser Berichterstattung nicht unbedingt Glauben schenken konnte.“ Tatsächlich hatte die Bremer Anstaltsleitung versucht, den Patienten wieder nach Hadamar zu verlegen, aber dort lehnte man seine Wiederaufnahme zu diesem Zeitpunkt ab.
Seine Abschiebung in die Tötungsanstalt Meseritz-Obrawalde, genau zwei Monate später am 9. 12. 1943, überlebte Jelken nur eine kurze Zeit. Ein erneuter Versuch, seinen Mördern zu entkommen, schlug fehl. Am 26. 2. 1944, nur einen Tag nachdem die Polizei ihn aufgegriffen und wieder zurück in die Anstalt gebracht hatte, war der 36jährige tot. Die offizielle Todesursache lautete „Herzschwäche bei Grippe“.
 

Die Biografie von Hermann Jelken ist in Band 3 der "Publikationsreihe Stolpersteine in Bremen" erschienen und wurde von Gerda Engelbracht verfasst.

Quellen

Archiv Klinikum Bremen-Ost, Krankenakte Hermann Jelken
Archive des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, Außenstelle Hadamar, Krankenakte Hermann Jelken
StA Bremen 4,66 I, Friedrich Kraus
StA Bremen 4,89/3-5 Js 2758/47
 

Assoziationen

Assoziationen
As­so­zi­a­tive Beziehungen und Verknüpfungen

Alle Opfer der NS-"Euthanasie"-Verbrechen haben ihre Individualität. Manche wurden jedoch aus ähnlichen Motiven verfolgt, einige teilten zum Beispiel Gewaltererfahrungen in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen. Andere wiederum wurden doppelt sigmatisiert: Weil sie als psychisch krank und behindert galten und als homosexuell und jüdisch definiert wurden.
Diesen Verknüpfungen versuchen wir mit "Assoziationen" nachzugehen. Sie ermöglichen es auch, geographische Beziehungen in unserer Datenbank zu recherchieren. Sie können also erforschen, wer am selben Ort oder Region lebte, wer in der selben Anstalt lebte und ermordet wurde.

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Literaturverweise

Ausgewählte Literatur zum Thema

Arbeit und Zwang.
1986, Bonn

Das Leben der Hadamarer Patienten im Schatten des Todes. In: Roer, Dorothee, Dieter Henkel (Hg.), Psychiatrie im Faschismus: die Anstalt Hadamar 1933-1945, S. 173-213

AuthorMonika Daum

Brauchen wir ein Mahnmal?
2000, Bremen

AuthorAchim Tischer

Der tödliche Schatten der Psychiatrie.
1996, Bremen

Die Bremer Nervenklinik 1933-1945

AuthorGerda Engelbracht

Erinnerungsbuch für die Opfer der NS-Medizinverbrechen in Bremen
2016, Bremen

AuthorGerda Engelbracht
ISBN9783954941025
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