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Historischer Ort: Denkmal der Grauen Busse, Porträt 2
Victims biography
Anna Franziska Bauer
18841940

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Anna Franziska Bauer
Näherin from Rorschach (St. Gallen)

b. 06/12/1884 in Rorschach (St. Gallen)
d. 08/14/1940 in ?

Von Paul-Otto Schmidt-Michel

Akte Staatsarchiv St. Gallen1: Anna Franziska Bauer, geboren am 12.6.1884 in Rorschach, hatte mehrmonatige Aufenthalte in Schweizer psychiatrischen Anstalten, 1920 und 1930 in St. Pirminsberg und 1934 in Wil. Am 18.4.1934 wurde sie in die Anstalt Reichenau/ Baden überführt.

  1. Staatsarchiv St. Gallen, Nr. A 541/1.1.0281 (Asyl Wil) und Nr. A 404/2.4966 (Anstalt St. Pirminsberg).
Biography created on 03/23/2018, last update on 05/31/2018

Ihr Schicksal ist u.a. davon geprägt, dass sie in den Schweizer Anstalten in «Privatpflege» untergebracht war. (Sie und ihre drei Geschwister hatten von ihren verstobenen Eltern ein Haus in Rorschach am Bodensee geerbt.) Der Vater war Landwirt in Konstanz/ Baden und war in die Schweiz ausgewandert, wo er als Maurer in Rorschach arbeitete. Anna Bauer war nach den Schilderungen der Schwester bei ihrer ersten Aufnahme in St. Pirminsberg am 9.6.1920 ein  «gesundes, intelligentes, sehr fröhliches & lebhaftes Kind, war aber von Jugend auf sehr empfindlich und leicht beleidigt». Ein Jahr vor der Aufnahme sei sie plötzlich sehr «menschenscheu» geworden, habe sich von allem zurückgezogen. Sie glaubte, alles sei «auf sie bezogen» und man habe «böse Absichten ihr gegenüber». Sie sei «ungeliebt, missachtet, verkannt». Sie ass kaum mehr, weil sie religiöse Opfer habe bringen wollen. Bis vor kurzem habe sie als Lorraine-Stickerin1gearbeitet.
Während ihres sechsmonatigen Aufenthaltes musste sie immer wieder wegen Nahrungsverweigerung künstlich ernährt werden. Sie blieb «still und unzugänglich». Am 23.12.1920 stand in der Akte von St. Pirminsberg als letzter Eintrag: «Heute von den Angehörigen nach Hause genommen, wegen finanz. Unmöglichkeit, weiter für die Verpflegungskosten aufzukommen».

Zehn Jahre später, am 30.1.1930, brachten die Geschwister Anna Bauer erneut nach St. Pirminsberg. Sie litt unter Wahnvorstellungen und verweigerte die Nahrungsaufnahme; wieder erfolgten Zwangsernährungen. Ab Anfang März 1930 ass sie wieder, arbeitete regelmässig in der Nähstube, ihre Stimmung besserte sich und sie wurde zugänglicher, so die Verlaufsbeschreibung in den Akten. Am 4.6.1930 wurde sie «als geheilt entlassen». Am 2.3.1934 wurde sie in der Anstalt Wil, ebenfalls Kanton St. Gallen, aufgenommen. Wieder war sie verwirrt und abgemagert. In den Jahren zuvor hatte sie in verschiedenen Stellungen als «Glätterin» gearbeitet. Bei diesem Aufenthalt arbeitete sie von Anfang an in der «Glättestube». «Ihre Arbeit macht sie sehr gut und ist dabei sehr fleissig». Es wird geschrieben, sie sei «lieb, freundlich, ruhig, still, fügt sich». Der «Austritt erfolgte am 18.4.1934 in eine heimatliche Anstalt nach Deutschland». Die «Heimschaffung» wurde seitens des «Departement des Inneren des Kantons St. Gallen» am 9.4.1934 angeordnet. Die «badische Staatsangehörige» Anna Bauer wurde eine Woche später durch ein «kantonales Polizeikommando» dem «Bezirksamt in Konstanz» übergeben und am 18.4.1934 in die Heil- und Pflegeanstalt Reichenau aufgenommen.

Den verschiedenen Krankenakten liegt eine grosse Zahl von handschriftlichen Briefen der Schwestern von Anna Bauer an die jeweiligen Direktoren der Anstalten bei. In diesen wird jeweils die Zuneigung zur Schwester Anna («Annali») und der schwierige Umgang mit ihr geschildert, und es werden die Grenzen ihrer finanziellen Belastung durch die Anstaltsversorgung beschrieben. In dem geerbten Haus der Eltern in Rorschach, in welches Anna Bauer immer wieder zurückkehrte, lebten noch zwei Schwestern von ihr, welche sich mit Näharbeiten ihren Unterhalt verdienten, und ein Bruder, der in Folge einer Hirnhautentzündung als Kind geistig behindert war.

Eine weitere Schwester, Franziska Bauer, war in Gstaad in einem Hotel als Gouvernante angestellt, sie trug die Hauptlast der Anstaltskosten. Jahrelange Versuche der Geschwister, bei Hilfsvereinen, Krankenkassen und Ortsarmenverbänden die Anstaltskosten erstattet zu bekommen, scheiterten. Schliesslich schrieb der Direktor der Wiler Anstalt 1934 an die Schwestern: «Wie die Verhältnisse zur
Zeit liegen kann keine Wohngemeinde für diecAnstaltskosten aufkommen. Und so sind wir gezwungen für die Überführung in eine heimatliche Anstalt zu sorgen».


Akte Bundesarchiv2: Anna Franziska Bauer wurde nach der Akte im Bundesarchiv am 18.4.1934 in der «Ba. Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz a. B.» (Reichenau) aufgenommen. Sie sei aus der Schweiz ausgewiesen worden und komme nun in «Fürsorgebehandlung», wie es eingangs heisst. In der Schweiz sei sie «selbständige Stickerin zusammen mit den Schwestern» gewesen.

«Nach dem Tod der Eltern blieben die Schwestern zusammen wohnen und sie besorgt den Haushalt weiter bis vor 4 Jahren».


Als Symptom gab sie an, Stimmen zu hören. Diagnostiziert wurde Schizophrenie und eine hochgradige Schwerhörigkeit. Schon am zweiten Tag nach ihrer Aufnahme arbeitete sie «fleissig im Bügelzimmer», sie war «freundlich, geordnet, tritt nicht hervor». Bis 1940 finden sich nur wenige Einträge, ab 1936 arbeitete sie «fleissig mit der Nähmaschine». Einzig der Eintrag am 16.5.1940 ist etwas
ausführlicher: «Hat die Idee, dass das Personal sie hier festhalte, sie will wieder in die Schweiz heim, will nicht bei den Deutschen bleiben, sonst ist sie aber harmlos – im Äusseren geordnet, besorgt sich selbst in allen Stücken».

Anna Bauer wurde am 14.8.1940 in Grafeneck vergast.

  1. Veredelung von Kleidung, Bett- und Tischwäsche.
  2. Bundesarchiv, Bestand 179, Nr.7625, 11 Seiten, verschiedene Handschriften.
Assoziationen

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Diesen Verknüpfungen versuchen wir mit "Assoziationen" nachzugehen. Sie ermöglichen es auch, geographische Beziehungen in unserer Datenbank zu recherchieren. Sie können also erforschen, wer am selben Ort oder Region lebte, wer in der selben Anstalt lebte und ermordet wurde.

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