Ernst Bühler
Arbeiter aus Basel
geb.
in
Basel
gest.
in
Grafeneck
Arbeiter aus Basel
geb.
in
Basel
gest.
in
Grafeneck
Akte Staatsarchiv Basel 1: Ernst Bühler wurde in der Schweiz geboren (16.6.1892), sein Wohnort war Basel, wo er auch zur Schule ging. Nach den Beschreibungen in der Krankenakte der Anstalt Friedmatt/Basel hatte er aufgrund von Komplikationen während der Geburt («Sturzgeburt») eine leichte geistige Behinderung, er konnte jedoch französisch sprechen und schreiben. Nach der Schule trat
er eine Stelle als «Hausarbeiter» in Basel an, dort musste er 20 Stunden am Tag arbeiten, was ihn nach kurzer Zeit überforderte, er blieb zu Hause und «redete unverständliche Dinge».
Die Eltern brachten ihn am 1.7.1907 in die kantonale Heil- und Pflgeanstalt Friedmatt. Dort wurde eine «Erschöpfungspsychose» diagnostiziert. Er weinte viel, drängte nach Hause. Die Mutter holte ihn nach vier Wochen wieder ab. Nach drei Tagen brachten ihn die Eltern wieder: Es sei nicht gut gegangen, er spreche von erschiessen, bringe das ganze Haus durcheinander. Nun wird geschrieben,
er habe einen Grössenwahn, wirke stuporös, sei oft laut und versuche, sich selbst zu verletzten. Er erhält Dauerbäder und ein «Schutzbett ». Ab Oktober 1907 wird er «ruhig», im Dezember holt ihn wieder die Mutter.
14 Jahre später, am 11.1.1921, brachte eine Tante von Ernst Bühler ihn erneut zur Aufnahme in die Friedmatt. Seine Mutter war 1911, sein Vater 1920 verstorben. Die Tante berichtete, dass er nach seiner Entlassung 1907 mit dem Vater bis zu dessen Tod als «Erdarbeiter» im Rheinhafen gearbeitet hatte und seit die Mutter verstorben war, den Haushalt und das Kochen besorgte. Vier Wochen vor der jetzigen Aufnahme sei er im Hafen «verschüttet worden», sei ins Krankhaus gebracht worden («Rückencontusio»). Seitdem sei er appetitlos und bettlägerig, und sie bringe ihn, weil er keine Pflege habe. Diagnostiziert wurde eine «depressive Psychose», er wurde im weiteren Verlauf als «verworren und zurückgezogen» beschrieben. Der Akte liegt ein Schreiben der «Ältesten Krankenkasse der Maurer, Steinhauer und Handlanger» vom 26.5.1921 bei mit der Anfrage an die Direktion, wie lange er noch in der Friedmatt bleibe. In einem weiteren Schreiben der «Vormundschaftsbehörde Basel- Stadt» vom 22.10.1921 wurde der Heil- und Pflegeanstalt Friedmatt mitgeteilt, dass für Herrn Bühler «aus vermögensrechtlichen Interessen» ein Amtsvormund bestellt wurde. In diesem Schreiben wird er als «von Stammheim, Oberamt Calw, Württemberg» kommend bezeichnet. In der Krankenakte wurde am 10.11.1921 notiert: «Nach Deutschland verbracht». Der letzte Eintrag stammt vom 23.12.1940: «Angaben der Schwester: sei in Ravensburger Irrenanstalt, ruhig, depressiv».
Sechs Monate zuvor fand Ernst Bühler in Grafeneck einen gewaltsamen Tod. Der Akte von Ernst Bühler liegen drei weitere Schriftstücke aus dem Jahre 1943 bei, die seine Schwester, «Fräulein Marie Bühler» betreffen. Sie hatte im Dezember 1940 bei der «Bürgerratskanzlei Basel» einen Antrag auf die Schweizer Staatsbürgerschaft («Bürgerrechtsgesuch ») gestellt, der abgelehnt wurde. Am 11. Oktober 1943 schrieb nun dieselbe Kanzlei an den damaligen ärztlichen Direktor der Friedmatt, Prof. Staehelin, und bat um gutachterliche Äusserung zu einem erneuten Antrag von Frau Bühler, denn er habe 1940 «in Berücksichtigung der schweren erblichen Belastung Abweisung empfohlen». Die Bürgerrechtskanzlei selbst halte zwar das erneute Gesuch «für aussichtslos», wolle jedoch eine erneute Stellungnahme zu den «erhobenen ärztlichen Bedenken». Professor Staehelin fragte daraufhin offensichtlich bei dem Arbeitgeber von Marie Bühler, die Firma J.R. Geigy A.G., nach Besonderheiten in ihrem Verhalten nach (dieses Anschreiben liegt nicht bei), denn die Firma antwortete ihm, dass sie «keine der von Ihnen erwähnten Anomalien zeigt». Auch die «vertraulich zu Rat gezogenen direkten Vorgesetzten» hätten dies bestätigt. Ebenso ein in unklarem Verhältnis zu Frau Bühler stehender «Fritz Gloor aus Basel 6» wurde von Staehelin bzgl. des Einbürgerungsgesuchs angefragt. Er schreibt an den Direktor der Friedmatt, dass er sie seit ihrer Kindheit kenne und sie sich «in seelischem und moralischen Gleichgewicht» befinde. Wie das Verfahren beschieden wurde, geht aus der Akte nicht hervor.
Akte Bundesarchiv 2: Ernst Bühler wurde am 18.11.1921 in die Heilanstalt Weissenau aufgenommen. In der Akte wurde einleitend vermerkt: «Am 10.11.1921 ist Bühler aus einer Schweizer Irrenanstalt in das Karl-Olga-Krankenhaus Friedrichshafen überwiesen worden». Kommunikation mit ihm war nicht möglich, «er spricht und singt vor sich hin». Nach Angaben eines «Onkels» sei die Schwester durch Suizid verstorben, «ein Bruder ist seit Weihnachten 1920 vermisst». In den ersten Tagen nach der Aufnahme wurde er zugänglicher und machte Angaben zu seiner Vorgeschichte. Der Arzt schreibt: «Er sei in Baselauf die Volksschule gegangen und ein guter Schüler gewesen. Nach der Schule habe er das Schneiderhandwerk erlernt. Er habe da und dort in der Schweiz, zuletzt in Basel gearbeitet, als Schreiner und Tagelöhner. Seit 1½ Jahren sie er in der Friedmatt bei Basel gewesen. Er habe die Nerven überstudiert gehabt.(...) Er bekomme manchmal einenStaukrampf in den Kopf, er müsse deshalb öfter eine Bewegung machen, damit der Staukrampf nicht komme». Ernst Bühler blieb bis 1940 ununterbrochen in der Heilanstalt Weissenau. In den ersten Jahren wurde stets dasselbe beschrieben, «phantasiert vor sich hin, kein Verkehr mit seiner Umgebung, tagsüber Dauerbad, abends Neurotika».
Ab Frühjahr 1926 arbeitete er «in der Wachabteilung fleissig mit», blieb aber weiter ganz für sich, «verkehrt mit niemand» – «Bettbehandlung» und «Dauerbad» blieben bis Ende der 1930er Jahre häufige Einträge in der Krankenakte. Der letzte Eintrag am 20.2.1940 lautet: «Wirkt regelmässig beim Reinigunsdienst mit, harmlos ». Ernst Bühler wurdeam 10.6.1940 in Grafeneck vergast und verbrannt.
Die Besonderheit der Akte von Ernst Bühler besteht darin, dass ihr umfangreiche behördliche Schriftwechsel aus der Schweiz und seitens deutscher Ämter beiliegen, die in den übrigen bislang untersuchten «T4»-Akten fehlen. Wie erwähnt wurden die den Krankenakten beiliegenden «Personalakten» ansonsten vernichtet. Es ist anzunehmen, dass es auch zu den anderen hier untersuchten Akten vergleichbare Schriftwechsel gab. So schrieb die «Vormundschaftsbehörde Basel- Stadt» an die «Ortsarmenbehörde Friedrichshafen/Bodensee» am 22.11.1921, dass sie «nach Art. 393 Abs. 2 des Schweiz.Ges.Buches» mit der Unterbringung von Ernst Bühler in einer deutschen «Staats-Irrenanstelt» einverstanden sei. Dort wird auch festgestellt, dass Ernst Bühler in Basel geboren, aber wüttembergischer Staatsangehöriger ist. Dasselbe Einverständnis zu seiner Unterbringung attestierte am 4.12.1921 sein Bruder, Karl Bühler, beglaubigt von einem Dr. Gutekunst. Eine weitere Zustimmungserklärung liegt von seinem Bruder vom 27.1.1922 bei, beglaubigt durch einen Stempel «Polizeipräsident Basel». Und dasselbe nochmals mit Datum 28.2.1922, hier beglaubigt von dem «Polizeimann Stäbli». Zu diesem gibt es ein Begleitschreiben des «Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt» an die Ortsarmenbehörde Friedrichshafen, in dem mitgeteilt wird, dass der Geburtsschein beiliege (nicht in den Akten) und Vater und Mutter von Erst Bühler verstorben seien. Bereits am 22.11.1921 schrieb die Verwaltung der Heilanstalt Weissenau an die Ortsarmenbehörde Friedrichshafen und bat um Mitteilung, wer die Überführung aus der Schweiz beantragt habe und diese antwortete: «Bühler wurde auf Antrag des Polizeidepartements Basel ausgewiesen und hierher übernommen. Er ist zuständig nach Stammheim, Oberamts (sic!) Calw, jedoch im Reichsausland geboren». Offensichtlich waren die Eltern von Ernst Bühler Deutsche (Württemberger), die nach Basel ausgewandert waren. Im Dezember 1921 und Januar 1922 wurde dann in vielerlei Schriftsätzen zwischen der Verwaltung in Weissenau, dem Oberamt Tettnang, der Landarmenbehörde in Ulm und dem Ortsarmenverband Freidrichshafen darüber verhandelt, wer für Ernst Bühler die «Staatspflege» bezahlt. Diese übernahm schliesslich die Ortsarmenbehörde Friedrichshafen. Ein Nachspiel bezüglich der Unterbingungskosten gab es nochmals 1931. Das Erbschaftsamt Basel attestiert am 28.9.1931 die «Verschollenerklärung durch den Vorsteher des Erbschaftsamts Basel, Stückelberg» des Bruders von Ernst Bühler, Albert Bühler, am 30.12.1920 und damit dessen Testament, in dem er seine Schwester am 26.12.1920 beerbte: «Ich bescheinige hiermit, dass ich mein Sparheft der Basler Kantonalbank, mit dem Sparkässlein, meinem Schwesterlein Marieli vermache. Sig. Albert Bühler». Der Hintergrund dafür, dass dieser Vorgang in der Akte zu finden ist, könnte sein, dass entweder die Anstalt oder die Ortsarmenbehörde nach Familienbesitz in der Schweiz nachfragte, um die Pflegekosten zu decken.
Diese Biografie erschien zuerst in: SWISS ARCHIVES OF NEUROLOGY, PSYCHIATRY AND PSYCHOTHERAPY 2018;169(3):82–88.
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