Ernst Lossa
aus Augsburg (Bayern)
geb.
in
Augsburg (Bayern)
gest.
in
Irsee
aus Augsburg (Bayern)
geb.
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Augsburg (Bayern)
gest.
in
Irsee
Der am 1. November 1929 in Augsburg geborene Ernst Lossa entstammt einer jenischen Familie, die sich als fahrende Händler eher schlecht als recht über Wasser zu halten vermochte. Mutter Anna starb 23jährig an Tuberkulose, als Ernst knapp vier Jahre alt war. Vater Christian war von Januar 1936 bis Dezember 1938 im Konzentrationslager Dachau mit „Arbeitszwang“ inhaftiert und wurde im Oktober 1941 in das KZ Flossenbürg verbracht, wo er am 30. Mai 1942 mit nur 35 Jahren zu Tode kam.
Für Ernst und seine Geschwister Amalie (geboren 1931), Anna (1932 - 2011) und Christian (der 1935 noch nicht zweijährig stirbt) zuständig war der „Fürsorgeverband Schwaben“. Er bringt Ernst ab 1933 in einem Waisenhaus in Augsburg unter. Dorthin folgen zwei Jahre später auch die beiden Schwestern, die zunächst in einem Säuglingsheim sind. Mit zehn Jahren wird Ernst in eine Erziehungsanstalt der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt in Markt Indersdorf abgeschoben, da angeblich „die Erziehungsarbeit einer ganzen Gruppe unter einem solch stark abartigen und asozialen Jungen“ litt.
Eine Gutachterin von der „Forschungsanstalt für Psychiatrie“ in München verstieg sich zu der Behauptung, bei Ernst Lossa handele es sich „zweifellos um einen an sich gutmütigen, aber völlig willenlosen, haltlosen, fast durchschnittlich begabten, triebhaften Psychopathen“, woraufhin er am 20. April 1942 in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren eingewiesen wurde.
Obwohl dort zunächst positiv auffiel, dass der Dreizehnjährige „bei der Pflege der hilflosen Kinder“ zur Hand ging und „ihnen ganz geduldig löffelweise ihren Brei“ fütterte, überwogen abwertende Beurteilungen, so dass man Ernst Lossa am 5. Mai 1943 in den Anstaltsteil Irsee abschob. In Irsee war er zwar beim Personal überwiegend beliebt, die wenigen Einträge in der Krankenakte bleiben jedoch negativ. Im Sommer 1944 beschließt die Anstaltsleitung, den Jungen zu "euthanasieren", mithin Ernst Lossa zu ermorden.
Da Ernst offensichtlich von den unnatürlich vielen Sterbefällen in seiner Umgebung wusste und wohl auch gesehen hatte, dass Kranken Spritzen und Tabletten verabreicht wurden, bekam er die tödliche Injektion unter dem Vorwand einer Typhusimpfung: Am Abend des 8. August 1944 erhielt Ernst Lossa zwei Spritzen mit Morphium-Scopolamin, als Todesdatum wurde der „9.8.44“ vermerkt. In dem im November 1909 von Sektionsdiener Max Ries begonnenen „Buch für Sectionen“ der „Königlichen Pflegeanstalt Irsee“ steht dahinter ein dickes rotes Fragezeichen.
Das von Pater Carl Wolff unmittelbar nach Kriegsende angelegte Register der Irseer Anstaltsgräber verzeichnet die letzte Ruhestätte von Ernst Lossa in der „Abteilung II, Reihe I, Grab-Nr. 3“ auf dem ehemaligen Anstaltsfriedhof unmittelbar hinter der Klosterkirche.
Dass das Schicksal von Ernst Lossa bis heute berührt, verdanken wir zu allererst dem unerschöpflichen Engagement von Prof. Dr. Michael von Cranach, der die Krankenakten aus Kaufbeuren/Irsee zugänglich gemacht hat. Dem gewissenhaften Nachforschen entwuchs die von Robert Domes sensibel erzählte Romanbiografie „Nebel im August. Die Lebensgeschichte von Ernst Lossa“ (2008), die 2016 verfilmt wurde. Ernst Lossa – wie Anne Frank im Jahr 1929 geboren und als junger Mensch ermordet - wurde so beispielhaft zum Gesicht der verschleiernd wie verharmlosend „Euthanasie“ genannten nationalsozialistischen Patientenmorde: Bücher zeigen sein Angesicht, in Augsburg und Kaufbeuren sind Straßen nach ihm benannt, in Irsee und Augsburg wurden „Stolpersteine“ für ihn verlegt, Behinderteneinrichtungen tragen ebenso seinen Namen wie ein Spielzeugmuseum in Neapel. Der Buch- und Filmtitel „Nebel im August“ schließlich wurde zum Synonym für die künstlerische Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen „Euthanasie“-Aktionen, deren juristische Aufarbeitung John von Düffel zu dem Dokumentarstück „NEBEL IM AUGUST (Der Fall Ernst Lossa vor Gericht)“ anregte, im März 2018 am Landestheater Schwaben uraufgeführt von Intendantin Dr. Kathrin Mädler. Seit 2010 findet am Allerheiligentag – zugleich Geburtstag von Ernst Lossa – jährlich auf dem ehemaligen Patientenfriedhof von Irsee die Gedenkveranstaltung „Lichter gegen das Vergessen“ statt. Initiiert von Robert Domes und unterstützt vom Bildungswerk des Bayerischen Bezirketags wie von Kloster Irsee als Tagungs-, Bildungs- und Kulturzentrum des Bezirks Schwaben, stehen wechselnde Aspekte der Erinnerung an die Irseer Opfer der NS-Patientenmorde im Mittelpunkt. So wurde das „Kloster- und Künstlerdorf Irsee“ in den letzten Jahren auch zu einem Erinnerungsort, „an dem wir gegen den Schmerz und die Traumata und den Tod anerzählen. Ein Ort, an dem die Verluste noch einmal ins Leben kommen“ (Kathrin Mädler). Vor allem aber wurde Kloster Irsee zu einem Ort, an dem ein Name niemals vergessen wird: Ernst Lossa.
Dr. Stefan Raueiser ist Leiter des Bildungswerks des Bayerischen Bezirketags und des Schwäbischen Tagungs- und Bildungszentrums Kloster Irsee
Ernst Lossa. Eine Krankengeschichte,in: Michael von Cranach/Hans-Ludwig Siemen (Hrsg.), Psychiatrie im Nationalsozialismus. Die Bayerischen Heil- und Pflegeanstalten zwischen 1933 und 1945, München: Oldenbourg 1999, S. 475–484.
In Memoriam. Ausstellung in Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms, verantwortet von Michael von Cranach mit Unterstützung von Katharina von Cranach, Hamburg 1999.
Robert Domes, Nebel im August. Die Lebensgeschichte des Ernst Lossa, München: cbt/cbj Verlag, 2008.
Nebel im August. Drama FSK 12.Darsteller: Sebastian Koch, Fritzi Haberlandt, Henriette Confurius, David Bennent, Karl Markovics und Ivo Pietzcker; Regie: Kai Wessel; Drehbuch: Holger Karsten Schmidt; Kamera: Hagen Bogdanski; Produktion: Ulrich Limmer; Kinostart: 29.09.2016.
NEBEL IM AUGUST (Der Fall Ernst Lossa vor Gericht). Dokumentarstück von John von Düffel. Nach der Romanbiografie von Robert Domes, Irsee: Grizeto 2018 (Stückabdruck mit freundlicher Genehmigung des Per H. Lauke Verlag, Hamburg).
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