Peter Verhaelen
Konstrukteur aus Duisburg
geb.
in
Duisburg (Nordrhein-Westfalen)
gest.
in
Brandenburg/Havel
Konstrukteur aus Duisburg
geb.
in
Duisburg (Nordrhein-Westfalen)
gest.
in
Brandenburg/Havel
Peter Verhaelen war 19 Jahre alt, als er gegen Ende des Ersten Weltkrieges an dem Boykott der Matrosen und Hafenarbeiter teilnahm, der gegen das sinnlose Auslaufen der Flotte gegen England gerichtet war, den die Admiralität heimlich und ohne Einschaltung des von ihr verhassten Parlaments ausgeheckt hatte. Die Matrosen hatten damit die Novemberrevolution eingeleitet und den Parlamentspräsidenten Ebert bei der Gründung der Republik unterstützt, der die Matrosen daraufhin mit dem Schutz des Berliner Regierungsviertels gegen streikende und demonstrierende Arbeiter und bewaffnete Spartakisten einsetzte. Als sich jedoch die Matrosen nicht ganz den Ebertschen Vorstellungen gemäß verhielten, ließ dieser in der Nacht zum 24. Dezember 1918 Kampftruppen mit Artillerie anrücken, die in der frühen Morgenstunde die Unterkünfte der z. T. noch auf ihren Strohsäcken schlafenden Matrosen mit Geschützen in Brand schossen. Bei den Gefechten, die bis zum Mittag dauerten, gab es auf beiden Seiten viele Tote.
Durch Eberts Verrat und die „Blutweihnacht“ traumatisiert, musste Verhaelen noch die Massaker der Truppen und Freischärler gegen die Aufständischen verkraften, die in den Monaten Januar, März und April Tausende von Opfern forderten. Im Mai 1919 konnte er nach Auflösung seiner Schutztruppe nach Duisburg zurückkehren, wo er seine Arbeit als Technischer Zeichner wieder aufnahm und sich über Abendkurse zum Konstrukteur heranbildete. Sein Trauma verließ ihn jedoch nicht, sondern formte ihn zu einem reizbaren Menschen, der besonders unter Arbeitsdruck auf der Arbeitsstätte oder daheim schnell in Wut geraten konnte.
Für psychisch geschädigte Kriegsteilnehmer gab es damals kaum Rehabilitations-Maßnahmen; diese kommen erst heute bei Opfern des Afghanistan-Krieges ins Gespräch. Das Gemetzel mit 220 Toten am Karfreitag, dem 2. April 1920 im Duisburger Norden durch Reichswehr und Freikorps gegen die linke Arbeiterschaft im Zuge der „Ruhrkämpfe“, weckte bei dem jungen Mann erneut die Vorahnung von einer baldigen Militärdiktatur.
Beruflich konnte sich Peter Verhaelen bei der Duisburger Kupferhütte in der Zeit von 1922 bis 1932 gut entwickeln, und er leistete in der Ingenieur-Abteilung u. a. einen wesentlichen Beitrag zur Modernisierung und Neugestaltung der Anlagen zur Kupfergewinnung aus Abbrand (Abfall bei der Eisengewinnung), wobei sogar noch kleinere Mengen von Silber und Gold anfielen – eine Weltsensation. Kein Wunder, dass sich das Unternehmen, das zum Konzern der IG-Farben gehörte, Hoffnungen auf einen Besuch von Adolf Hitler machte, denn der Konzern finanzierte in erheblichem Maße dessen Wahlkampf. Diese Entwicklung gab jedoch dem Schicksal des Konstrukteurs eine dramatische Wende.
. Als es in der Firma um die Einführung des Hitler-Grußes ging, soll er gesagt haben: „Für dieses Schwein erhebe ich nicht meine Hand.“ Auf der Straße erhielt er Prügel von der SA, und das Unternehmen schickte ihn für neun Monate „zur Erholung“ in eine Neußer Psychiatrie. Wegen der Demonstrationen der Duisburger Bevölkerung gegen den sich steigernden Nazi-Terror nahm Hitler offenbar Abstand von einem Besuch der „Hütte“, kam aber am 24. Juli 1932 zu einer kurzen Wahlkampfrede ins Duisburger Fußballstadion. Bis nach den Juli-Wahlen blieb Verhaelen, der „Plakatkleber“ der Zentrumspartei, in der Klinik und vom Duisburger Geschehen weggesperrt. Die Vorstandsetage der Kupferhütte war über die Betriebskrankenkasse, in der Peter Verhaelen versichert war, über alle Diagnosen, Therapien und Kosten aus der Krankenakte ihres „Untergebenen“ informiert. Die Neußer Diagnose lautete: Schizophrenie.
Ein solches Urteil eines Arztes lieferte in jener Zeit häufig den Anstoß für medizinische Versuche, und nach 1933 mussten alle derartigen Befunde an das Gesundheitsamt und an das inzwischen geschaffene Erbgesundheitsgericht weitergegeben werden. Obwohl im Fall Verhaelen keine Erbkrankheit festgestellt werden konnte, betrieb die Ärzteschaft – möglicherweise auch durch einen Wink der Firmenleitung – hartnäckig diesen Weg, der am 18. Mai 1936 in den Beschluss auf Sterilisierung mündete. Diese Methode, inzwischen von Hitler „gesetzlich“ abgesichert, wurde häufig auch zur Entmenschlichung oder Beseitigung unliebsamer Nörgler, Demonstranten, Freunde jüdischer Mitbürger oder anderer Menschen, die sich nicht der Parteilinie anpassen wollten, angewendet.
Verhaelens Einspruch und Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf halfen nicht, denn auch die nächsthöhere Instanz, nämlich das Erbgesundheitsobergericht mit dem Landesrat Dr. Creutz als einem der Richter, bestand weiterhin auf einer Operation. Der Leidtragende musste sich allein verteidigen, denn ein Anwalt wurde nicht zugelassen! Da er keiner schriftlichen Anweisung Folge leistete, wurde nun von medizinischer Seite die Polizei mit dem Auftrag der Zwangseinweisung des Patienten in eine Klinik betraut. Erst nach dreimaliger körperlicher Gewalt gegen Polizei, Ärzte und Helfer konnte Peter Verhaelen im September 1936 in Bedburg-Hau zwangssterilisiert werden.
Inzwischen war sein Arbeitsverhältnis von der Kupferhütte, die jetzt den Titel „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“ anstrebte, gekündigt worden. In seiner verzweifelten Lage und ohne den gewohnten Arbeitsrhythmus wandte er sich verstärkt der Unterstützung der Familie seines jüdischen Freundes Arthur Meyer zu, dem durch die Nürnberger Gesetze von 1935 jede Erwerbstätigkeit untersagt war. Etwa im Februar 1937 wurden Peters heimliche „Butterbrot-Aktionen“ an die Gestapo verraten, die ihn im Keller des Duisburger Polizeigefängnisses festhielt und folterte, um weitere Informationen über Juden zu erpressen. Mit dem ganzen Einsatz der Familie gelang es, den Landesrat Dr. Creutz, der u. a. für die Auslastung der Rheinischen Heil- und Pflegeanstalten zuständig war, für eine Verlegung Peters in die Anstalt in Bedburg-Hau zu gewinnen.
Was zunächst wie eine tröstliche Entwicklung aussah, stellte sich für den Patienten schon bald als eine Art „Schutzhaft“ heraus. Er wurde wegen seines wehrhaften Verhaltens in einer Einzelzelle im bewachten „Bewahrungshaus“ untergebracht – ohne Besuchserlaubnis und mit Therapien, die möglicherweise medizinische Versuche nicht ausschlossen. Als Hitler im Frühjahr 1940 Kapazitäten für ein Marinelazarett suchte, wurde Peter Verhaelen am 8. März 1940 mit 323 weiteren Patienten in Spezial-Bussen nach Brandenburg a. d. Havel transportiert und dort sogleich von dem Massenmörder (Dr.) Eberl persönlich vergast. Die Angehörigen erfuhren erst im Jahre 2005 durch die Recherche von Peters Neffen Bernhard Selting von den Umständen, dem Datum und dem Ort des Todes ihres Onkels und Großonkels.
Bernhard Selting
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