Es begann mit einer Zeitungsannonce

Edward Wieand und seine Tante Erna

15.02.2017 - Kategorie: Interview

Edward Wieand lebt in Sennestadt bei Bielefeld. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2009 war er in der heilpädagogischen Arbeit, u.a. in den Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel und der Stiftung Eben-Ezer in Lemgo tätig. Bereits in den 1980er Jahren begann er, zum NS-„Euthanasie“-Mord an seiner Tante Erna Kronshage (1922-1944) zu recherchieren - ausgelöst durch eine Zeitungsannonce.
Mittlerweile leistet Edward Wieand in mehreren Internetblogs eine umfangreiche Gedenkarbeit. In der Interview-Reihe „Das Schweigen brechen“ erzählt er von seinen Nachforschungen.

Bild
Blog: Edward Wieand und Erna Kronshage, Collage
Visuelle Annäherung - Edward Wieand und seine Tante Erna Kronshage. (Bilder: Wieand)

Julia Frick: Wann haben Sie begonnen, über das Schicksal Ihrer Tante nachzuforschen? Können Sie sich an einen Moment erinnern, der ausschlaggebend für den Beginn Ihrer Recherchen war?

 

Edward Wieand: Begonnen habe ich 1986. In der Kirchenzeitung für Westfalen stieß ich auf eine Notiz vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Genauer gesagt war es ein Aufruf an Angehörige von NS-„Euthanasie“-Opfern oder solchen, die einen Fall von NS-„Euthanasie“ in ihrer Familie vermuteten. Ich hatte, was meine Tante Erna anging, einen solchen Verdacht – der LWL-Beauftragte, mit dem ich dann sprach, bestätigte ihn.

Julia Frick: Wann haben Sie begonnen, über das Schicksal Ihrer Tante nachzuforschen? Können Sie sich an einen Moment erinnern, der ausschlaggebend für den Beginn Ihrer Recherchen war?

 

Edward Wieand: Begonnen habe ich 1986. In der Kirchenzeitung für Westfalen stieß ich auf eine Notiz vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Genauer gesagt war es ein Aufruf an Angehörige von NS-„Euthanasie“-Opfern oder solchen, die einen Fall von NS-„Euthanasie“ in ihrer Familie vermuteten. Ich hatte, was meine Tante Erna anging, einen solchen Verdacht – der LWL-Beauftragte, mit dem ich dann sprach, bestätigte ihn.

Julia Frick: Wie ging es dann weiter? Was waren Ihre nächsten Anlaufstellen?

 

Edward Wieand: Ich nahm Kontakt mit Ernst Klee auf, der ja einige bedeutende Schriften zum Thema NS-„Euthanasie“ verfasst hat. Ich las seine Bücher und suchte insbesondere nach Informationen über die Anstalt in Tiegenhof/Gnesen bzw. Dziekanka/Gniezno im heutigen Polen, wo meine Tante im Jahr 1944 umgebracht wurde. Auch vertiefte ich mich in Publikationen von Götz Aly und Michael Wunder („Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr“). Letztlich suchte ich wegen der „Erbgesundheitsakte“ meiner Tante das Stadtarchiv Bielefeld auf.

 

 

Julia Frick: Was konnten Sie im Laufe der Jahre herausfinden?

 

Edward Wieand: Ich konnte – leider ohne Auffinden der Patientenakte – ziemlich minutiös das 484 Tage andauernde Martyrium meiner Tante Erna Kronshage rekonstruieren. Außerdem hatte ich glücklicherweise relativ viele Fotos im Familienbesitz zur Verfügung.

 

 

"Ich möchte besonders junge Menschen ansprechen, die sich vielleicht mit Erna identifizieren können.

Schließlich ist sie mit gerade einmal 21 Jahren umgebracht worden."

 

Julia Frick: Wie hat Ihre Familie bzw. Ihr Umfeld auf Ihr Engagement und auf die neuen Informationen reagiert?

 

Edward Wieand: Das war sehr unterschiedlich. Die einen waren angerührt, die anderen reagierten abweisend. Man schämte sich, wohl auch wegen des eigenen Verschweigens in all den Jahren: von 1944 bis zu meiner Bearbeitung ab 1986! Meinen Brüdern und Cousins war die Geschichte von Erna Kronshage eher „peinlich“ – doch auch sie waren auf eine gewisse Art und Weise interessiert …

 

 

Julia Frick: Wie würden Sie den Einfluss beschreiben, den Ihre Recherchen auf Sie selbst hatten und haben?

 

Edward Wieand: Ich war früher im Bereich der Sozialen Arbeit, in Heimen für behinderte Menschen tätig. Von daher war ich schon von Berufs wegen interessiert an der Thematik und erschrocken über die Taten und Mitwirkungen der altvorderen „Kollegen“ bei den „Euthanasie“-Morden. Gleichzeitig warnte ich als Heimleiter vor ähnlichen „Fragebögen“ etc., die ja im Behindertenbereich immer wieder gern genutzt werden.
Letztlich wurde mir auch bei der Tagung zur Namensnennung von „Euthanasie“-Opfern, die Ende Juni 2016 in der Topographie des Terrors stattfand, noch einmal das Diffizile aller Aspekte bewusst. Nämlich, dass es zwei Gruppen von Angehörigen gibt – solche, die die Namensnennung vorantreiben möchten, auch der Opfer zuliebe, und solche, die vor diesem Schritt (noch) Angst haben.

 

 

Julia Frick: Was treibt Sie und Ihre Arbeit an?

 

Edward Wieand: Für mich als „Alt-68er“ war das sicherlich zunächst einmal eine notwendige politische Konsequenz gegenüber der Elterngeneration. Hinzu kam dann der berufsbezogene Aspekt – und heutzutage ist es mir wichtig, das Einzelschicksal meiner Tante bekanntzumachen. Auch, um gegen rückwärtsgewandte Entwicklungen in der Gesellschaft Stellung zu beziehen oder eventuelle „Wiederholungen“ (wie zum Beispiel die Gefahr der Verwendung „chemischer Keulen“ in der Psychiatrie) zu verhindern. Hier möchte ich besonders junge Menschen ansprechen, die sich vielleicht mit Erna identifizieren können. Schließlich ist sie mit gerade einmal 21 Jahren umgebracht worden.

 

Einer der Blogs von Edward Wieand: http://erna-4-teens.blogspot.de

Von Julia Frick