Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwache in Mosbach(Johannes-Diakonie Mosbach)

Pflegeanstalt in Mosbach

Adresse:

Neckarburkener Str. 2-4
74821 Mosbach
Deutschland

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Historischer Ort: Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwache in Mosbach, Historische Ansicht des heutigen Hauses Neckar

Über diesen Ort

Von der AG Geschichte der Johannes-Diakonie

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Historischer Ort: Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwache in Mosbach, Postkarte
Postkartenansicht der „Erziehungs- und Pflege-Anstalt für schwachsinnige Kinder“

Die Johannes-Diakonie wurde 1880 als „Anstalt für schwachsinnige Kinder“ gegründet. Das erste Haus der Anstalt in Mosbach war ein ehemaliges Wohngebäude für Fabrikarbeiter der nahegelegenen Fadenfabrik.

Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs

Die Anstalt wuchs rasch; ab 1899 wurden auch erwachsene Menschen mit Behinderung aufgenommen. Nach mehreren Umbenennungen hieß die Einrichtung ab 1905 „Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwache in Mosbach“. Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten stiegen die Belegungszahlen bis 1939 auf nahezu 500 Bewohner und Bewohnerinnen. Deshalb wurde 1936 in der rund 20 Kilometer entfernten damaligen Gemeinde Unterschwarzach der Schwarzacher Hof (bis 1934 eine Jugendhilfeeinrichtung der Inneren Mission) angemietet und 1939 gekauft. In der Folge wurden dort bevorzugt Menschen mit schweren Behinderungen untergebracht. Der Schwarzacher Hof wurde zur „Abteilung für Blöde“. Insgesamt 167 der T4-Opfer aus der „Erziehungs- und Pflegeanstalt“ kamen vom Schwarzacher Hof; weitere 51 kamen vom Stammsitz in Mosbach.

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Historischer Ort: Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwache in Mosbach, Historische Ansicht des heutigen Hauses Neckar
Historische Ansicht des heutigen Hauses Neckar (früher als "Neubau" bezeichnet)
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Historischer Ort: Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwache in Mosbach,Früheres Tor zum Schwarzacher Hof
Früheres Tor zum Schwarzacher Hof.

Nach der Deportation und Ermordung von 218 Bewohnerinnen und Bewohnern im September 1940 wurden nicht mehr alle Gebäude benötigt. Die Anstaltsleitung wurde 1941 genötigt, den Stammsitz in Mosbach an die Stadt zu verkaufen. Nur noch am Schwarzacher Hof ging die Behindertenarbeit weiter. Im Jahr 1944 wurde der Schwarzacher Hof jedoch weitgehend geräumt, weil dort ein Betriebskrankenhaus für einen Rüstungsbetrieb (Deckname: "Goldfisch") der Firma Daimler Benz untergebracht wurde. Bald nach dem Einmarsch der Amerikaner in die Region im April 1945 kam der Befehl, den Schwarzacher Hof komplett zu räumen. Die amerikanische Militärregierung übergab ihn an das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (United Nations Relief and Rehabilitation Administration UNRRA). Dieses nutzte ihn bis 1948 als Lager für „unbegleitete minderjährige  Flüchtlinge“, darunter viele jüdische Waisenkinder, deren Eltern Opfer des Holocausts geworden waren. 1946 konnte die Anstaltsleitung das Gelände mit den Gebäuden in Mosbach, 1949 auch das in Unterschwarzach wieder zurückerwerben.

Zwangsmaßnahmen und Todestransporte

Von 1934 bis 1945 wurden aufgrund des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Heidelberger Kliniken Zwangssterilisationen an mindestens 61 Bewohnerinnen und Bewohnern vorgenommen. Den Höhepunkt erreichte die Welle der Zwangssterilisationen 1936 mit 18 Fällen.
Im September 1940 geriet die „Erziehungs- und Pflegeanstalt“ in den Fokus der T4-Aktion. Bei drei Transporten wurden am 13., 17. und 20. September 1940 insgesamt 218 Bewohner und Bewohnerinnen aus Mosbach und Schwarzach in die Vernichtungsanstalt Grafeneck verschleppt; 217 von ihnen wurden vergast und verbrannt. Eine Bewohnerin kam nach Grafeneck, obwohl sie auf keiner Transportliste stand. Sie kam in die staatliche Anstalt Zwiefalten, wo es Einzeltötungen gab, vor allem aber katastrophale Überbelegung, Vernachlässigung in der Pflege und Unterernährung herrschten. Dort starb sie laut Akte 1942 an Lungentuberkulose. Im Juli 1941 wurden sechs weitere Bewohnerinnen in die staatliche Anstalt Wiesloch gebracht. Von dort sollten sie weiter transportiert und ebenfalls vergast werden. Sie überlebten durch den zwischenzeitlich angeordneten Stopp der Massenvergasungen.

 

Opfer der zweiten Phase der NS-„Euthanasie“

Mit dem Stopp der Massenvergasung in besonderen Vernichtungsanstalten war die NS-„Euthanasie“ keineswegs beendet. Heimbewohner mit Behinderungen starben 1941 bis 1945 in bestehenden staatlichen Anstalten durch Einzeltötungen, Unterernährung und pflegerische Vernachlässigung. Auch bei der Räumung des Schwarzacher Hofes für ein Betriebskrankenhaus der Firma Daimler-Benz 1944 wurden Bewohner in die staatlichen Anstalten Eichberg und Uchtspringe verlegt. Bis Mai 1945 starben insgesamt 44 von ihnen dort. Die Verbringung in zwei verschiedene Anstalten hing zusammen mit der verbrecherischen medizinischen Forschung in Heidelberg. In die Anstalt Eichberg bei Wiesbaden kamen im Sommer 1944 insgesamt 21 Kinder und Jugendliche vom Schwarzacher Hof. 17 von ihnen waren zuvor in der Forschungsabteilung von Professor Carl Schneider an der Psychiatrisch-Neurologischen Universitätsklinik in Heidelberg gewesen. Mit dem Ziel der Unterscheidung zwischen vererbter und erworbener Behinderung wurden dort zahlreiche Untersuchungen durchgeführt. Die letzte Untersuchung sollte die Sektion des Gehirns nach dem Tod des Betroffenen sein. Heidelberg hatte mit Eichberg eine Vereinbarung, dass dort die Kinder getötet, ihre Gehirne entnommen und nach Heidelberg zurückgesandt werden sollten. Alle 17 „Forschungskinder“ und zwei weitere Kinder vom Schwarzacher Hof starben in Eichberg. Nur zwei Kinder, die nicht in Heidelberg waren, haben überlebt.
Ende Juli 1944 kamen 28 Bewohner der „Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwache“ am Schwarzacher Hof in die Anstalt Uchtspringe bei Magdeburg. Bis Kriegsende starben dort 25. Nur drei von den Abtransportierten haben überlebt.

 

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Historischer Ort: Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwache in Mosbach, Gedenkstein
Gedenkstein zur Erinnerung an die Opfer der NS-„Euthanasie“ vor der Johanneskirche, Mosbach

Historische Forschung und Gedenken

Die Zeit des Dritten Reichs und die Auswirkungen der NS-„Euthanasie“ auf die damalige „Erziehungs- und Pflegeanstalt“ wurden in einer wissenschaftlichen Arbeit von Dr. Hans-Werner Scheuing ausführlich untersucht. Eine Arbeitsgruppe kümmert sich um die fortlaufende Sicherung und den Ausbau der historischen Erkenntnisse. Zum Gedenken an die Opfer wurde am Standort Mosbach der Johannes-Diakonie vor der dortigen Johanneskirche 1983 ein Gedenkstein und 2010 eine Tafel mit den Namen der Ermordeten enthüllt. 1987 erfolgte die Einweihung eines Gedenksteines am Schwarzacher Hof. Jährlich finden im September, dem Monat der Todestransporte von 1940, Gedenkgottesdienste statt. Auch in Ausstellungen und Vorträgen sowie mit der Verlegung von Stolpersteinen im Rahmen der Stolperstein-Aktion von Gunter Demnig wird das Andenken an die Opfer wachgehalten.

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