„Ich wollte sie präsent werden lassen“ – Hannah Bischof und ihre Großmutter Maria

15.01.2017 - Kategorie: Interview

Vor fast 15 Jahren haben sich die Berliner Malerin Hannah Bischof und ihre Schwester Regina Fenski auf die Suche gemacht. Auf die Suche nach ihrer Großmutter Maria, die im August 1942 in der Heilanstalt Neuruppin ermordet wurde. Hannah hat ihrer Großmutter einen Bilderzyklus gewidmet – für die Interview-Reihe „Das Schweigen brechen“ erzählt Hannah, wie sie die Jahre der Recherche und der Aufarbeitung erlebt hat.

Julia Frick: Wann hast du begonnen, über das Schicksal deiner Großmutter nachzuforschen? Kannst du dich an einen Moment erinnern, der ausschlaggebend für den Beginn deiner Recherchen war?

Hannah Bischof: Das war 2003. Geforscht hat eigentlich meine Schwester Dr. Regina Fenski, weil sie über das Leben unserer Großmutter ein Buch schreiben wollte und deshalb in Neuruppin nach ihrer Krankenakte gefragt hat. Mein Vater ist mit derselben Frage einige Jahre zuvor abschlägig beschieden worden; 2003 war die Akte plötzlich da… Meine Schwester hat mich gebeten, sie zu begleiten, und wir sind dann zusammen nach Neuruppin in die Ruppiner Kliniken gefahren. Wir wussten, dass unsere Großmutter 1942 in Neuruppin gestorben war; deshalb hatte meine Schwester dort gefragt. Wir waren beide sehr nervös und aufgeregt. Wir haben dann beide dort eine Kopie der Krankenakte erhalten.

Julia Frick: Wie ging es dann weiter?

Hannah Bischof: 2015, als schon etliche Bilder für meine Großmutter in meinem Atelier entstanden waren, bin ich auch nach Berlin-Lichtenberg in das Elisabeth-Herzberge-Krankenhaus gefahren und hatte dort ein Gespräch mit der Archivarin des Krankenhauses. Denn bevor Maria nach Neuruppin kam, war sie in diesem Krankenhaus gewesen. Die Archivarin sagte mir, dass die Akten damals alle an die Kliniken mitgegeben worden waren, in die die Patienten von Herzberge verlegt wurden. Deshalb existierten in Herzberge überhaupt keine Akten mehr.

Julia Frick: Was konntet ihr im Laufe der Zeit über das Schicksal eurer Großmutter herausfinden?

Hannah Bischof: Mit der Kopie der Krankenakte konnten wir den Großteil des Lebens unserer Großmutter nachvollziehen – zumindest den Teil, den sie in Kliniken verbracht hat. Wir begriffen, dass sie wirklich krank gewesen war und Psychosen hatte. Nach der Einschätzung von Dr. Göhlert, dem damaligen ärztlichen Direktor der Neuruppiner Kliniken, litt sie tatsächlich an Schizophrenie. Wir konnten auch herausfinden, dass sie an Unterernährung gestorben war; zum Zeitpunkt ihres Todes wog sie nur noch 42 Kilo, wie aus der Gewichtstabelle in der Akte hervorging. Diese bezeugte einen rapiden Gewichtsverlust in den letzten Monaten ihres Lebens.

Man hatte unsere Großmutter also verhungern lassen, und die angegebene Todesursache „Herzmuskelentartung“ war damit nicht einmal „gelogen“ – diese Krankheit des Herzens und des Herzmuskelgewebes ist eine Folge von Unterernährung. Wir konnten auch anhand der Akte herausfinden, dass sie schon mit 17 in einer Klinik in Osnabrück behandelt worden war. Ich fragte in der Klinik nach und bekam ihren dortigen Aufenthalt bestätigt.

 

 

„Mit dazu beitragen zu können, dass in den Familien darüber gesprochen wird, dass sich auch die Jüngeren dafür interessieren, was damals passiert ist, das wäre schön.“

 

Julia Frick: Wie hat eure Familie bzw. euer Umfeld auf euer Engagement und auf die neuen Informationen reagiert?

Hannah Bischof: Mein Engagement bezog sich ja nicht direkt auf die Recherchen; ich bin Malerin und habe das Leben und Sterben meiner Großmutter erst sehr viel später, lange nach den Besuchen in Neuruppin und Herzberge, in Bildern verarbeitet. Aber der Besitz der Krankenakte hat einiges aufgewühlt; meine Schwester und ich besuchten 2003 die Tochter unserer Großmutter, unsere Tante, der wir eine Kopie der Akte geschickt hatten und die uns erzählte, dass sie nach dem Lesen drei Tage geweint habe. Sie konnte uns noch sehr viel aus dieser Zeit berichten und war sehr froh, dass wir diesen Schritt unternommen und die Akte erhalten hatten. Ein Teil der Familie interessierte sich auch für diese Informationen und war sehr betroffen über das, was wir herausgefunden hatten – zumal bis dahin auch bei einigen die Version kursierte, dass unsere Großmutter Selbstmord begangen habe…

 

Julia Frick: Wie würdest du den Einfluss beschreiben, den eure gemeinsamen Recherchen auf dich selbst hatten?

Hannah Bischof: Letztendlich haben die Recherchen meiner Schwester und auch meine eigenen (in Osnabrück und in Berlin-Lichtenberg) dazu geführt, dass ich das Leben und Sterben meiner Großmutter in sechzehn Gemälden verarbeitet habe. Mit diesen Bildern und Fotos habe ich eine Ausstellung konzipiert, die ich 2016 in Neustadt (Schleswig-Holstein) und in Brandenburg an der Havel gezeigt habe. Von Januar bis März 2017 wird sie in Berlin in der Stiftung „Erinnerung – Verantwortung – Zukunft“ zu sehen sein. Meine Großmutter ist damit für mich sehr präsent geworden; sie ist wieder Teil der Familie, sie ist in die Familie zurückgekehrt.

Julia Frick: Zu guter Letzt – was treibt dich und deine Arbeit an?

Hannah Bischof: Mein Wunsch war, meiner Großmutter die Würde zurückzugeben, die ihr die Nationalsozialisten genommen hatten. Ich wollte sie präsent werden lassen, wollte der Öffentlichkeit zeigen, wer sie war und was man ihr angetan hatte. Ich wollte – und will – darauf hinweisen, was passiert, wenn man Menschen in einer Gesellschaft bewusst ausgrenzt. Und ich wünsche mir, dass die Menschen über dieses Unrecht sprechen. Gerade das Thema der sog. „Euthanasie“ ist in unserer und wahrscheinlich auch in anderen Gesellschaften m.E. noch nicht aufgearbeitet – aus Scham und wegen diffuser Ängste. Mit dazu beitragen zu können, dass in den Familien darüber gesprochen wird, dass sich auch die Jüngeren dafür interessieren, was damals passiert ist, das wäre schön.

Von Julia Frick